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'Auf Sicht von fünf Jahren Preis-Ratio von Gold/Silber wieder bei 15:1'

Börse Express: Herr Schulte, eine Grundsatzfrage an den Silberexperten: Wie knapp ist Silber wirklich? Wurde der Peak wie beim Öl schon überschritten?

Thorsten Schulte: Zwei Jahrzehnte lang führten Gold und Silber ein Schattendasein. Am 16. Februar 2001 sah der Goldpreis sein Tief bei 253,85 US-Dollar je Unze, Silber fand den Tiefpunkt am 5. Januar 2001 bei 3,97 US-Dollar. Damals wurden Edelmetallinvestoren belächelt, und heute bei 1000 US-Dollar im Gold und über 16 US-Dollar im Silber scheint vielen Anlegern die Edelmetallhausse zu weit fortgeschritten. Dabei sollten bereits wenige Fakten von den unglaublichen Chancen überzeugen, die in den kommenden Jahren in Gold und Silber stecken. Während es pro Erdenbürger Staats-, Unternehmens- und Bankanleihen in Höhe von 12.943 US-Dollar und Aktien über rund 6.800 US-Dollar gibt, betragen die Silberlager nur ungefähr 3 US-Dollar pro Mensch. Gold kommt derzeit auf 805 US-Dollar. Selbstverständlich geht uns das Silber nicht aus. Aber die Endlichkeit von Silber ist die grösste von allen Industrie- und Edelmetallen.

BE: Wie kommen Sie darauf?

Schulte: Im März 2007 wurde für die deutsche Bundesregierung eine 350seitige Studie vorgelegt, aus der die Reichweiten der Industriemetalle, Stahlveredler und Edelmetalle hervorgehen. In dem Papier werden die Reservenreichweite und die Ressourcenreichweite erwähnt. Erstere stellt das Verhältnis der derzeitigen Reserven eines Rohstoffs und seiner Fördermenge bei derzeitigen Preisen dar. Die Zweite berücksichtigt hierbei den technologischen Fortschritt sowie mögliche Preissteigerungen. In beiden Kategorien weist Silber die kürzesten Reichweiten auf, unmittelbar gefolgt von Gold. Während die Reservenreichweite für Silber mit 14 und für Gold mit 17 Jahren angegeben wird, liegt sie bei Kupfer beispielsweise bei 32, bei Eisenerz bei 119 und bei Platinmetallen bei 177 Jahren. Rohöl kommt übrigens laut BP auf 42,5 Jahre und Erdgas auf rund 65 Jahre. Es gibt dabei nicht nur "Peak Oil", sondern auch "Peak Gold" und "Peak Silver". Gold und Silber eignen sich folglich nicht nur als Krisenschutz gegen eine grosse Dollarschwäche und Schwierigkeiten des Papiergeldsystems, sondern auch als chancenreiche Langfristanlage aufgrund ihrer Endlichkeit.

BE: Sind neue Anwendungen in Sicht, für die man Silber benötigt?

Schulte: Als Silberinvestor Kurs zu halten, macht vor allem auch langfristig Sinn. Werfen wir den Blick auf eine weitere mehr als 400seitige Studie zu den Auswirkungen von Zukunftstechnologien auf die Rohstoffnachfrage. Ein kräftiges Wachstum erfuhr der Silbereinsatz in der Elektrik/Elektronik und einigen anderen industriellen Anwendungen, wie Solar-Paneele und Wasseraufbereitung. Explizit heisst es in der Studie: "Auch der Verkauf von Batterien und Brennstoffzellen, in denen Silber enthalten ist, wird in Zukunft weiter steigen. Silber-Zink-Akkumulatoren sind möglicherweise bald eine Konkurrenz für Lithium-Akkumulatoren, da sie bis zu 40% mehr Energie speichern können." Für Silber werden in der Studie vier Zukunftstechnologien herausgestellt: Silberbasierte Leitpasten in RFID-Transpondern, Nano-Silber in antibakteriellen Anwendungen, Silber-Zink-Akkumulatoren in mobiler Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Silber-Katalysatoren in alkalihaltigen Brennstoffzellen. Hinzu kommen Displays (OLED), Farbstoffzellen und solarthermische Kraftwerke. Der Anteil dieser Zukunftstechnologien an der Gesamtnachfrage lag 2006 bei 5.342 Tonnen bzw. 26% der Jahresproduktion. Für 2030 wird der Bedarf auf 15.823 Tonnen bzw. 78% der Jahresproduktion geschätzt. Der grosse Vorteil von Silber im Vergleich zu Gold liegt doch auf der Hand: Gold wird von der Industrie nur zu rund 11% nachgefragt, selbst bei Berücksichtigung der Zahntechnik. Bei Silber waren es in den letzten Jahren durchschnittlich rund 50%.

BE: Wer sind die wichtigsten Förderländer?

Schulte: Laut Angaben der CPM Group entfallen von rund 700 Mio. Unzen (22’500 Tonnen), die 2008 gewonnen wurden, 118,5 Mio. auf Peru, 103,9 auf Mexiko, 86,5 auf China, 58,5 auf Australien, 54 auf Chile, 41,7 auf Russland, 41 auf Polen, 39,5 auf die USA, 35 auf Bolivien und 23,4 Mio. Unzen auf Kanada. Aus dem Silberrecycling stammten 2008 176,6 Mio. Unzen nach 181,9 im Jahr zuvor. Hochmoderne Einrichtungen zur Silbergewinnung aus Elektronikmüll arbeiten hocheffizient. Es ist aber illusorisch zu glauben, dass beispielsweise die jedes Jahr neu produzierten Handys von über 1 Milliarde allesamt verwertet werden können.

BE: Wie sieht es mit der Nachfrage aus?

Schulte: Die Nachfrage der Industrie lag 2008 bei über 50% des Angebots. Rückgänge in diesem Sektor im Jahre 2009 wurden durch die stark gestiegene Investmentnachfrage mehr als ausgeglichen. Der Silber-ETF von i-Shares allein verwahrte im Hoch am 18. Dezember 2009 311,4 Mio. Unzen Silber (10'000 Tonnen) gegenüber 221,25 Mio. Unzen am Jahresbeginn 2009. Insgesamt stiegen die Silbervolumina der ETFs von rund 264 Millionen Unzen Anfang 2009 auf gegenwärtig rund 388 Millionen.

BE: Von Theodore Butler werden seit Jahren Meldungen über enorme Silbershorts lanciert, die schon in die Grössenordung einer Jahresproduktion kommen. Ist da was dran, kann man das verifizieren?

Schulte: Die vier grössten Spieler im US-Silber-Terminmarkt sind derzeit short mit 61.094 Kontrakten. Sie haben damit immerhin 305,5 Mio. Unzen (10'000 Tonnen) Silber am US-Terminmarkt verkauft, was 45% der gesamten Minenproduktion des Jahres 2008 entspricht. Zwei US-Banken waren Anfang Januar mit netto 37.292 Kontrakten short. Dies entspricht über 27% der Jahresminenproduktion. Wenn Bankanalysten uns sagen, dass diese Positionen wahrscheinlich "nur" im Auftrag Dritter eingegangen werden, kann ich nur müde lächeln. Auffällig ist doch, dass derartige Short-Überhänge der vier grossen Trader, zweier US-Banken und der kommerziellen Trader (Commercials) bei keinem anderen Rohstoff bestehen. Die Commercials haben im Silber derzeit rund 47%, im Gold rund 37%, bei Platin weniger als 20% und bei Palladium rund 20% netto leerverkauft. Bei Rohöl kommen sie nicht auf mehr als ein Prozent. Da sollte jeder Verdacht schöpfen. Aber schon Paul Volcker, der Vorgänger von Alan Greenspan, bezeichnete es als Fehler, in den 70er Jahren nicht gegen die Edelmetallspekulation vorgegangen zu sein.

BE: Wie viele reine Silberminen, börsennotiert, gibt es eigentlich, was ist deren Kapitalisierung? Wie sieht dies aus, wenn man auch diejenigen Minen dazunimmt, bei denen Silber zumindest einen wichtigen Einfluss auf das Geschäft hat?

Schulte: 2008 war BHP Billiton der grösste Silberproduzent mit 42,3 Mio. Unzen, gefolgt von KGHM Polska mit 38,4 Mio. Unzen. Bei BHP Billiton machen die Einnahmen aus den Verkäufen von Kupfer, Silber, Blei, Uran und Zink zusammen gerade 14,53% der gesamten Einnahmen aus (Juni 2009 laut Bloomberg). Fast 80% der Umsatzerlöse von KGHM Polska entfallen auf Einnahmen aus den Verkäufen von Kupfer, Edelmetallen und anderen Beiprodukten. Wer wirklich nach Unternehmen Ausschau hält, die an stark steigenden Silberpreisen partizipieren, muss sich an den primären Silberproduzenten orientieren. Primär heisst, dass die Haupteinnahmen der Minengesellschaften aus dem Silberverkauf resultieren. Spitzenreiter ist dabei Silver Wheaton (ca. 2 Mrd. Euro Börsencap.). Das Unternehmen kommt auf einen Erlösanteil des Silbers von 94%. Pan American Silver (ca. 1 Mrd. Euro Börsencap.) und Coeur D’Alene (ca. 0,6 Mrd. Euro Börsencap.) kommen beide auf 78%. Hochschild auf 61%, Fresnillo liegt bei 57% (ca. 5 Mrd. Euro Börsencap.), Silvercorp Metal erreicht 51%. Hecla Mining erzielt nur einen Anteil von 41%. (Anm. Börsencap. ergänzt durch Redaktion).

BE: Was sind die Ursachen für das starke Auseinanderdriften der Silber-Gold-Ratio?

Schulte: In der Tat lag das Gold/Silber-Verhältnis über sehr lange Zeit bei 15 zu 1. Heute kostet eine Unze Gold das 64fache einer Silberunze. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts gab es oberirdische Silberlager von 10 Mrd. Unzen. Heute sind es, selbst bei grosszügigen Annahmen, nicht mehr als 1,2 Mrd. Unzen. Noch 1940 besass die US-Regierung über 3,135 Mrd. Unzen Silber, heute ist davon nichts geblieben. Der Lagerabbau führte über Jahrzehnte hinweg zu Verschiebungen zuungunsten des Silbers. Hinzu kam der Verlust der Geldfunktion. Bis 1964 hatte ein 25-Cent-Stück noch einen Silberanteil von 90%. Seit 1965 enthalten Vierteldollarstücke kein Silber mehr. Das ist aber alles Vergangenheit. Silber ist wichtig in der Industrie und wird in vielen Zukunftstechnologien eine Rolle spielen. Die Lagerbestände sind historisch niedrig. Von 1900 bis 2008 lag die Silberproduktion nur beim rund 8,2fachen der Goldproduktion. In der Natur kommt Silber 17,5mal so häufig vor wie Gold. Noch dazu kommt es nahe der Erdoberfläche recht gediegen vor, mit zunehmender Abbautiefe nimmt aber die Silberkonzentration ab. Gold wird hingegen in Südafrika selbst in einer Tiefe von 4000 Metern gefördert. Noch dazu weist Silber die niedrigste Reservenreichweite von allen Industrie- und Edelmetallen auf. Von daher gehe ich auf Sicht von spätestens fünf Jahren davon aus, dass wir ein Gold/Silber-Ratio von 15 wieder sehen werden.

Interview: Christoph Rohrmoser


Aus dem Börse Express vom 28. Jänner 2010