Börse Frankfurt-News: "Die Zinsen sinken - wohin mit dem Geld?"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Investoren haben es seit Mittwoch letzter Woche schwarz auf weiß: die Zinsen sinken. Das wirft die alte Frage aufs Neue auf: wohin mit dem Geld? Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, diskutiert drei Thesen für Investments im neuen Zinsregime.
23. September 2024. Seitdem die US-Notenbank Fed am vergangenen Mittwoch die Zinsen um einen großen Schritt um 0,5 Prozentpunkte gesenkt hat, ist es quasi amtlich: Das neue Zinsregime ist da! Die EZB hatte bis Mitte September bereits zweimal den maßgeblichen Zins gesenkt. Der Einlagensatz liegt jetzt bei 3,5 Prozent. Das ist die Messlatte für sicheres Tagesgeld.
Weil die Inflation kontinuierlich fällt, werden die Notenbanken weltweit die Zinsen senken. Es handelt sich also voraussichtlich um eine echte Trendwende und keine kurzfristige Laune der Zinsmärkte. Die Folgen für das neue Zinsregime sind mannigfaltiger Natur. Welche Vermögenswerte werden wie betroffen? Wer profitiert, wer verliert von sinkenden Zinsen? Wohin also mit dem Geld? Drei Thesen für Anlegende.
Die Zinsen sinken, her mit den Langläufern!
Es gehörte zu den Eigenarten der vergangenen Jahre, dass der Langfristzins niedriger war als der kurzfristige. In der Fachsprache heißt das: Die Zinskurve war invers. An der Frage, warum das so war, scheiden sich die Geister. Fest steht allerdings, dass man am Rentenmarkt mit Kurzläufern gleichzeitig sein Laufzeitrisiko senken und seine Erträge optimieren konnte. Auch nach Abzug der Inflation konnte man mit geldmarktnahen Fonds ordentliche Realrenditen kassieren. Diese Zeit neigt sich jetzt dem Ende entgegen. Die Kurzfristzinsen werden sinken, was die Kurse länger laufender Papiere stützen sollte.
Unklar ist, wie stark dieser Effekt wirken wird, aber weil die US-Wirtschaft offenbar keinen nachhaltigen Schaden in der Hochzinsphase erlitten hat und sich das Wachstumstempo der Wirtschaft nur verlangsamt, werden lang laufende Anleihen profitieren, aber voraussichtlich keinen Kurs-Turbo zünden. Fest steht dagegen, dass die Opportunitätskosten für Investments in Kurzläufern steigen werden. Das bedeutet, dass Anleger weniger auf Tagesgeld und Geldmarktfonds setzen werden, sondern stärker in Risikopapiere investieren werden.
Dieser Trade hat ein Fälligkeitsdatum. Irgendwann, wenn die niedrigeren Zinsen die Konjunktur zum Erhitzen gebracht haben, wird der Zyklus wieder drehen, und die Notenbanken werden die Zinsschraube wieder anziehen. Doch das ist Schnee von morgen. Aktuell besteht die begründete Hoffnung, dass Anleger in länger laufenden Bonds genüsslich die Zinskurve herunterrutschen können. Wer Langläufer kauft, dürfte nach der derzeitigen Logik ordentliche Kursgewinne verbuchen. Und weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Konjunktur nicht doch abkühlen wird, haben Bond-Investoren eine Option auf üppige Rezessionsgewinne.
Der Growth-Spatz auf dem Dach wird attraktiver
Wenn die Zinsen sinken, gewinnen die künftigen Cashflows gegenüber den heutigen an Attraktivität, weil der Diskontierungsfaktor für die Cashflows sinkt. Das bedeutet, dass Unternehmen, die investieren und gezielt ihren Umsatz steigern, für Anleger wieder attraktiver werden. Heute sind Cashflow-starke Unternehmen im Vorteil. Das wird sich ändern: Wachstumswerte, Nebenwerte und auch Technologie-Aktien aus der zweiten und dritten Reihe profitieren überproportional von sinkenden Zinsen.
Allerdings wird es an dieser Stelle etwas nebelig. Im dritten Quartal haben Tech-Werte korrigiert, und Unternehmen aus der zweiten Reihe haben sich in den vergangenen zwei Monaten auch unterdurchschnittlich entwickelt. Geht es nur nach der Cashflow-Logik, dann hätten sie outperformen sollen. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsversuche: einmal schließen viele Anleger nicht aus, dass es doch zu einer Rezession kommt. Sie gehen auf Nummer sicher. Das erklärt, warum gerade Cashflow-Maschinen wie Versorger aktuell besonders kräftig zulegen.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor betrifft die Profiteure der KI-Revolution. Aktuell sehen wir eine kräftige Kursdelle bei Unternehmen wie NVIDIA, ASML, AMD, TSMC, Broadcom, Lam Research und Co. Dass die Kurse angesichts der steigenden Bewertungen einen Rücksetzer machen, ist nicht verwunderlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Anleger nach etlichen Kursverdoppelungen bei vielen Aktien einiges an Luft ablassen würden. Dass der Hype ein Crash wird, etwa nach dem Vorbild der Tech-Bubble ab 2000, ist allerdings nicht gesagt. Die AI-Gewinner von heute machen reale Umsätze und haben solide Geschäftsmodelle. Ein Abverkauf der Magnificent 7 erscheint naheliegend, dürfte aber, Stand heute, überzogen sein. Vielleicht wäre ja die Reduzierung des Gewichts des Nasdaq-100-ETFs zu rechtfertigen, aber kein Abverkauf? Portfolio-Umschichtungen sollten keine Top- oder Flop-Angelegenheit sein. Anleger brauchen also nicht abzuwägen, ob sie klassische Value-Branchen, etwa Energie, Finanzen und insbesondere Versorger zu Gunsten von kleineren Technologiewerten ersetzen sollten. Warum nicht beide Stile in Gestalt geeigneter Fonds oder ETFs im Depot zusammenbringen?
Wohin mit dem Geld? Vorhang auf für den Carry-Trade
Bei der Frage: "Wohin mit dem Geld?", darf in der heutigen Situation der Carry-Trade nicht fehlen. Die Strategie gehört zum Standard-Repertoire von vielen Anlegern. Auch wer den Begriff nicht kennt, setzt den Carry-Trade um. Im Wortsinn impliziert "Carry", dass Anleger ihr Geld von einer niedrig(er) rentierlichen Anlageform in eine höher rentierliche "tragen". In der Fachsprache ist der Carry-Trade ein Investment aus einem Währungsraum mit niedrigen Zinsen in einen Währungsraum mit höheren Zinsen unter dem Einsatz von Fremdkapital. Die Logik für den Einsatz eines Hebels ist auf den ersten Blick bestechend: Je größer die Differenz zwischen den Zinsen für Kredite am Heimatmarkt und den Anlagezinsen am Zielmarkt, desto lohnender ist eine hohe Kreditaufnahme. ?"ndern sich allerdings die Parameter, kann es zu Verwerfungen kommen. Steigen etwa die Zinsen am Ausgangsmarkt, drohen hohe Verluste bei den gehebelten Investments. Erst im August dieses Jahres gab es massive Verwerfungen infolge der Auflösung von Carry-Trades. So hat die massive Glattstellung von Yen-Krediten infolge der Zinserhöhung durch die Bank of Japan die Kurse von Aktien weltweit durcheinandergewirbelt.
Aber hier geht es nicht um die Risiken für Zocker, sondern um die Anlagestrategien, die auch Otto-Normal-Anlegerinnen und Anlegern offenstehen. Mit den sinkenden Zinsen in den USA und Europa werden Hochzinsmärkte attraktiv. In den nächsten Monaten dürften deshalb immer mehr Anleger in Anleihen aus Emerging Markets investieren. In den vergangenen drei Jahren haben Investoren weltweit Geld aus diesen Fonds abgezogen. Dreht die Richtung der Fund Flows, ist ein positiver Momentum-Effekt für Emerging-Markets-Anleihen zu erwarten.
Der Carry-Trade könnte sich für Anleger aus den USA und Europa doppelt lohnen: Einerseits haben Anleger die Aussicht auf auskömmliche Zinsdifferenz-Geschäfte. Zugleich werden die stärkeren Kapitalströme in Richtung Emerging Markets die lokalen Währungen dieser Länder stärken. Zu den Zinsgewinnen gesellen sich also Währungsgewinne. Emerging Markets Anleihenfonds, die auf lokale Währungen lauten, werden die Profiteure des neuen Zinsregimes der EZB und der Fed sein. Anleger können daran über Fonds und ETFs partizipieren.
Von Ali Masarwah, 23. September 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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