ROUNDUP: Hoffen auf Radwetter - Fahrradbranche erwartet schwieriges Jahr
GÖTTINGEN (dpa-AFX) - Mit Sonnenschein und wärmerem Wetter im Frühjahr beginnt auch wieder die Radsaison - die Fahrradbranche ist zum Start allerdings in verhaltener Stimmung. "Es kann durchaus passieren, dass wir noch die eine oder andere Insolvenz sehen werden in diesem Jahr. Ich würde aber nicht von einer Insolvenzwelle sprechen", sagte Anke Schäffner vom Fahrradindustrieverband ZIV am Mittwoch.
Das Problem: Noch immer volle Lager
Ziel in diesem Jahr sei es, die vollen Lager wieder auf ein normales Level zu bringen, sagte Schäffner. Zuletzt hatten Händler und Hersteller mit zu viel Ware in ihren Lagern und einer sinkenden Nachfrage nach neuen Rädern zu kämpfen. Nach dem Boom während der Corona-Pandemie erlebte der Markt eine Nachfrage-Delle. Für Verbraucherinnen und Verbraucher gab es daher starke Rabatte auf Fahrräder. Manche Firmen gerieten in finanzielle Schwierigkeiten.
Mit einer Entspannung der Situation rechnen laut Schäffner viele Unternehmen zum Jahresende oder zu Anfang 2025. Besonders gefährdet seien bis dahin die Komponentenhersteller, weil bei ihnen die Nachfrage erst zeitversetzt wieder anfange, zu steigen.
Die Gründe für die Pleiten lägen aber nicht nur an den aktuellen Umständen, sondern seien vielschichtig, sagte Uwe Wöll vom Verbund Service und Fahrrad (VSF). Ein gesundes Unternehmen könne mit Liquiditätsengpässen oder einem hohen Lagerbestand umgehen. Vielmehr zeige sich in der Situation, ob ein Unternehmen etwa personelle Probleme habe, innovativ genug sei oder Kunden adäquat anspreche.
Hoffnung auf gutes Wetter
"Macht eure Hausaufgaben", betonte Wöll. Gutes Marketing zum Beispiel mache auch unabhängiger von der Wetterlage. Denn für den Saisonstart hoffen Industrie und Handel zunächst auf einladendes Wetter. "Die ganze Branche merkt immer, wenn das Wetter gut ist, dann zieht dann der Markt an", so Wöll.
Mittel- und langfristig käme es auch auf bessere politische Rahmenbedingungen an, waren sich die Verbände und Unternehmen einig. Vor allem eine geeignetere Infrastruktur würde mehr Menschen aufs Rad bringen. Anke Schäffner vom ZIV bemängelte, dass es weniger Geld für die Radverkehrsförderung gebe nach dem Gezerre um den Bundeshaushalt. Das erschwere den Kommunen die langfristige und verlässliche Planung beim Radwegebau.
Außerdem wünscht sich die Branche von der Politik mehr Anerkennung als Industriebereich. Die deutsche Industrie-Strategie lasse das Fahrrad außer Acht. "Wir sind eine Branche, nehmt uns ernst", forderte Schäffner. Dabei sei der gesellschaftliche Druck wegen der Klimaziele und auch der Gesundheit der Bevölkerung so hoch, dass man am Fahrrad gar nicht vorbeikommen könne.
Auf lange Sicht ist die Branche optimistisch
Für die Zukunft zeigt sich die Branche trotz der angespannten Lage selbstbewusst. Der vom Bundesverkehrsministerium geförderten Studie "Fahrrad-Monitor 2023" zufolge plant ein Viertel der Deutschen, innerhalb dieses Jahres ein Fahrrad oder Pedelec zu kaufen. Die Branchenvertreterinnen und -vertreter sehen darin ein großes Marktpotenzial. Von einer Marktsättigung nach den vielen verkauften Rädern in den vergangenen Jahren gehen sie nicht aus.
Es gebe obendrein immer noch neue Produkte und Konzepte im Fahrradmarkt, sagte Oliver Römer vom deutschen Fahrradhersteller Tout Terrain. Ein Stichwort sei etwa das Lastenrad, das in manchen Haushalten zumindest den Zweitwagen ersetzen könne. Mit dem Dienstrad-Leasing, das seit einigen Jahren ein Treiber im Geschäft ist, könne man eine breitere Masse an Menschen ansprechen. Außerdem weckten die Unternehmen so das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern für hochwertige Fahrräder. "Ich sehe das als sehr großes Potenzial, quasi noch mehr Leute aufs Fahrrad zu bringen", sagte Römer./vni/DP/jha
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