Börse Frankfurt-News: "German Doom and Gloom kann zu unerwünschten Risiken führen"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Ali Masarwah vergleicht die gängigen Marktszenarien konservativer Fonds mit der realen Situation und ihren tatsächlichen Engagements.
29. Januar 2024. Anlegerinnen und Anleger in Deutschland gelten als risikoscheu, und angesichts der über 2,5 Billionen Euro, das sind 2.500 Milliarden Euro, die Privatleute in Bar und Sichteinlagen halten, muss an der Vermutung etwas dran sein. Entsprechend reden Vermögensverwalter dem deutschen Michel nach dem Mund, in der Hoffnung, dass er ihnen etwas von seinem Geldtopf überlässt, den sie gerne managen würden. Sie überbieten sich in finanziellem Konservatismus. Das gilt auch für Fondsmanager, gerade für solche, die Mischfonds anbieten.
In der Niedrigzinsphase haben sich viele Fondsmanager im Spagat geübt, Anleger zu beruhigen, dass sie keine übermäßigen Risiken eingingen, zugleich aber versuchen mussten, die Null-Prozent-Zinsen des Sparkontos zu übertreffen. Daher gingen deutsche Vermögensverwalter im Marketing hart mit den vermeintlich verschwenderischen Südeuropäern ins Gericht. Der damalige EZB-Präsident Mario Draghi - ein Italiener!! - stand in dieser Erzählung einer Institution vor, die sich gegen deutsche Sparer verschworen habe. Deren Schicksal laut den Doomsday-Vermögensverwaltern: der Untergang ihrer Sparguthaben im Trommelfeuer der EZB-induzierten Hyperinflation. Das Putzige daran: In den Fonds dieser Vermögensverwalter waren häufiger denn nicht die Anleihen von Euro-Südländern zu finden. Kein Wunder: diese Fonds wären sonst nicht in der Lage gewesen, mehr als Sparbuch-Renditen zu erzielen.
Nun sind die Zeiten des Nullzinses längst vorbei, und auch deutsche Staatsanleihen weisen positive Realrenditen auf. Weil sich deutsche Sparer aber noch immer nicht von ihren Sparkonten getrennt haben, gehört das Inflationsgespenst nach wie vor zum Marketing-Narrativ so mancher Vermögensverwalter. Die Teuerungsrate ist auf nahe 2 Prozent gesunken und nahe des Inflationsziels der EZB? Dann werden die Zweitrunden-Effekte der gestiegenen Löhne heraufbeschworen. Dann würden auch die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen von der Inflation "aufgefressen".
Globale Fondshäuser wie PIMCO, M&G, Schroders und viele andere vertreten eine andere Sicht. Sie gehen davon aus, dass die deflationären Kräfte die Oberhand gewinnen werden. Sie halten zügige Zinssenkungen und fallende Anleihenrenditen für das wahrscheinlichste Szenario. Anleger sollten also zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Geldprofis dem deutschen Doom und Gloom-Szenario anhängen. Dieses könnte sogar zu hohen Risiken in Anlageportfolios führen. Wie das?
Nun, Angstmachern droht die Konsistenzfalle. Wenn sie verkünden, dass die Inflation steigen wird, dann müssten sie folglich höhere Risiken eingehen, um auf der Anleihenseite reale Renditen zu erzielen. Dann geht es nicht um Bunds und qualitativ hochwertige Unternehmensanleihen, sondern um Hochzinsanleihen und Nachranganleihen. Wer dagegen mit fallenden Zinsen rechnet, wird auch die aktuelle Rendite zehnjähriger Bunds als passables Ergebnis erachten und eher auf Investment-Grade-Anleihen als High Yields oder Emerging Markets-Anleihen setzen.
Die unterschiedlichen Inflationsprognosen haben weitergehende Implikationen. Wer mit Inflation rechnet, wird eher auf Gold setzen. Auch andere "Sachwerte" wie Rohstoffe gelten dann als attraktiv. Auf der Aktienseite rücken ?-l- und Rohstoff-Aktien sowie andere Aktien, die bei steigenden Zinsen profitieren, in den Fokus. Wer dagegen mit fallenden Renditen rechnet, wird kein Problem damit haben, Growth-Aktien ins Portfolio zu legen. In einem deflationären Szenario sind deren zukünftige Gewinne angesichts erwartet niedriger Zinsen attraktiv.
Ein vermeintlich konservatives Portfolio im Jahr 2024 könnte also mit Junkbonds, Gold und Energie-Aktien vollgeladen sein. In einem "internationalistischen" Depot könnten dagegen Bundesanleihen, qualitativ hochwertige Unternehmensanleihen und Wachstums-Aktien die erste Geige spielen.
Man mag risikofreudigen Anlegern Naivität und Blauäugigkeit vorwerfen. Bisher hat die Investment-Historie den Optimisten aber Recht gegeben. Sie haben nicht nur mehr Spaß am Leben, sondern machen auch mehr Rendite. Wer Doomsday-Szenarien anhängt, verdient nicht nur nichts, sondern setzt sich sogar hohen, unerwünschten Risiken aus.
Von: Ali Masarwah, 29. Januar 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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