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Auf Signas sportliche Bewertungen könnte brutaler Kater folgen

Das Upper West am Westberliner
Breitscheidplatz nahe der Gedächtniskirche und des Bahnhofs Zoo
ist eine von vielen glitzernden Trophäen im Portfolio von René
Benkos Edel-Sparte Signa Prime Selection. Der ambitionierte
Wert, mit dem das Bürohochhaus in den Büchern steht,
verdeutlicht den Kater, der bei der Sanierung des
Immobilienimperiums den Beteiligten droht.


Trotz der Turbulenzen auf den Gewerbeimmobilienmärkten, die
durch das Ende der Ära des billigen Geldes ausgelöst wurden,
wurde der 35-stöckige Turm Ende letzten Jahres immer noch mit
mehr als 700 Millionen Euro bewertet, wie aus einem Bericht des
Maklers Jones Lang LaSalle vom April hervorgeht, der Bloomberg
News vorliegt. Das ist das 45-fache der Mieteinnahmen des
Gebäudes — heute sind eher Multiplikatoren in den Zwanzigern
marktüblich.


“Eine aktuelle Bewertung für Signa würde sehr
wahrscheinlich zu einem Rückgang von etwa einem Drittel führen”,
sagt Peter Papadakos, Chef der Europa-Analyse beim Immobilien-
Spezialisten Green Street Advisors.


Differenzen zwischen Buchwerten und dem, was tatsächlich am
Markt erzielt werden kann, sind in einem boomenden Markt nicht
von Belang. Doch wenn die Gläubiger Schlange stehen und ihr Geld
zurückbekommen wollen, sind Notverkäufe eine reale Möglichkeit.
Und dann steht selbst hinter den wertvollsten Liegenschaften ein
Fragezeichen: Die Financial Times berichtete am Freitag, dass
die damals schon klamme Signa in diesem Frühjahr einen 50%-
Anteil am Berliner KaDeWe nur für 300 Millionen Euro verkaufen
konnte — das wäre ein Abschlag von 60% auf dem Buchwert, der für
das ganze Haus bei um die 1,5 Milliarden Euro stand.


In diesem Fall könnte ein Realitätscheck sogar einige der
Kredite gefährden, die auf den Liegenschaften der Signa Prime
lasten. Transaktionen wie diese könnten auch den Gesamtmarkt
beeinträchtigen und das Preisniveau insgesamt auf eine
Abwärtsspirale setzen.


Der Absturz der Signa-Gruppe, der mit der
Insolvenzanmeldung der zentralen Signa Holding diese Woche einen
ersten Höhepunkt erreichte, verdeutlicht die Position
Deutschlands als Epizentrum der europäischen
Gewerbeimmobilienkrise. Österreich war für die meist in Wien
oder Innsbruck gemeldeten Signa-Firmen schon vor Jahren zu klein
geworden, und die meisten ihrer Vermögenswerte stehen beim
großen Nachbarn im Norden, dessen Immobilienmarkt noch vor
kurzem als sicherer Hafen für Geld aus aller Welt galt.


Als die Zinsen auf dem Tiefststand waren, sorgten wachsende
Wirtschaft und schwache Neubautätigkeit für einen raschen
Anstieg der Mieten, während die Mietrenditen mit den Zinsen in
den Keller rasselten. Zusammen mit billigem Geld im Überschuss
verleitete dies Investoren wie Benko dazu, die Immobilienwerte
in immer lichtere Höhen zu treiben.


Die deutschen Banken, die von der Immobilienkrise während
der Finanzkrise 2008 weniger stark betroffen waren, kurbelten
das Geschäft mit an. Laut einer Studie der Bayes Business School
vergaben deutsche Kreditinstitute routinemäßig Kredite für
Gewerbeimmobilien in Höhe von bis zu 80% des Immobilienwerts,
verglichen mit etwa 60% in Großbritannien. Das könnte sich jetzt
rächen.


Deutsche Immobilienkredite werden jetzt auf dem
Sekundärmarkt für zwischen 30 Cent und 70 Cent pro Euro Nominale
gehandelt. “Das sind große Korrekturen”, sagte Papadakos. “Wir
sprechen hier nicht von Rundungsfehlern.”


Benko hat auch bei Branchentreffen regelmäßig geklotzt,
nicht gekleckert. Signas 62-Meter-Yacht Roma wurde noch auf der
diesjährigen Mipim-Konferenz in Cannes auffallend in Szene
gesetzt, während der Stand von Signa auf der Expo Real in
München im Oktober zu den größten gehörte.


Die Bewertungen spiegeln diese robuste Haltung wider. In
einem Gutachten der BNP Paribas Real Estate für ein Kaufhaus,
das an Signas Warenhauskette Galeria vermietet ist — die schon
zwei Insolvenzen hinter sich hat — macht auf Wunsch des
Auftraggebers explizit die “besondere Annahme”, dass der Mieter
über die gesamte Laufzeit des Vertrags diese Miete zahlen können
wird.


“Die Bewertung basiert auf der besonderen Annahme, dass der
Mieter das Kaufhaus bis zum Ablauf des Mietvertrags betreibt”,
heißt es in den Erläuterungen zu der Bewertung. Und weiter: die
Berechnung eines Ausfalls wurde “vom Kreditgeber und der
finanzierenden Bank ausdrücklich nicht gewünscht”.
BNP und JLL lehnten eine Stellungnahme ab. Ein Vertreter
von Signa reagierte nicht auf Anfragen.


Mit dem Immobilienboom in Deutschland stiegen Signas
Gewinne und Benkos Vermögen. Das KaDeWe hatte Signa Ende 2012
für rund eine halbe Milliarde Euro von einer Investorengruppe
gekauft, hinter der unter anderem Goldman Sachs und die Deutsche
Bank standen. Zuletzt stand es mit rund dem Dreifachen in den
Büchern. Ähnliche Vervielfachungen sind von anderen Objekten
bekannt, in Wien etwa dem heutigen Park Hyatt Hotel und der
Jugendstil-Postsparkasse.

Als Preise noch in einer Aufwärts-, und Zinsen in einer
Abwärtsspirale waren, erlaubten die steigenden Buchwerte Signa
höhere Beleihungen, die dann wieder in neue Zukäufe gesteckt
werden konnten. Die niedrigen Renditen hatten allerdings auch
zur Folge, dass das Portfolio relativ kleine Geldflüsse in die
Kasse spülte. Gleichzeitig hatte die Signa Prime Bauprojekte wie
den Hamburger Elbtower im Programm — budgetierte Kosten
insgesamt fast eine Milliarde Euro — die immer mehr laufende
Zahlungen verschlangen. Als die Baukosten zuletzt begannen zu
explodieren, wurde der toxische Mix fatal.


Das wird jetzt auch ein Problem für die Gläubiger.
Bestandsobjekte generieren Mieteinnahmen, die zur
Schuldentilgung verwendet werden können, was Spielraum für einen
geordneten Verkauf gibt. Halbfertige Baustellen wie der Elbtower
sind hingegen eine Belastung.


Benko kaufte das Upper West im Jahr 2017 als Teil eines
Portfolios von der RFR Holding des US-Immobilienmoguls Aby
Rosen, mit dem Signa auch das Art-Déco-Wahrzeichen Chrysler
Building in New York gehört. Die unteren Geschosse des Upper
West sind Einkaufsflächen, es gibt ein Motel One Hotel und im
übrigen vor allem Büros — unter anderem Signas eigene Berlin-
Repräsentanz und ironischerweise die Anwaltskanzlei Görg, deren
Partner Torsten Martini gerade zum Insolvenzverwalter der Signa-
Prime-Tochter Signa Real Estate Management Germany ernannt
wurde.


Laut Bondprospekten und Investoren-Präsentationen stand die
Liegenschaft Ende 2018 mit 571 Millionen Euro in den Büchern der
Signa Prime. Ende 2020 waren es schon knapp 620 Millionen Euro.
Aber selbst nach dem beispiellosen Zinsanstieg seit letztem
Sommer sehen die Bewerter der Signa Prime keinerlei Wertverlust.
Die jüngste Bewertung von über 700 Millionen Euro bedeutet bei
Mieteinnahmen von 16,4 Millionen Euro eine Mietrendite von 2,2%
— weniger als die rund 2,4% Rendite 10-jähriger Bundesanleihen.
Top-Bürolagen in Berlin werden derzeit laut Daten von Green
Street eher mit 4% Mietrendite bewertet.


Um die Zahlen in Einklang mit dem Markt zu bringen, müsste
die Bewertung massiv gesenkt oder die Mieten entsprechend erhöht
werden — oder eine Mischung aus beidem. Zugegebenermaßen sind
die Büromieten im Upper West derzeit nicht am oberen Ende
vergleichbarer Räumlichkeiten in Berlin, es gibt also einen
gewissen Spielraum, wenn Verträge auslaufen.
Was die Situation nicht einfacher macht, ist der Mangel an
Immobilienverkäufen am deutschen Markt, die Bewertungen
objektivieren könnten. 


Laut den Immobilienanalysten von Avison Young gab es in den
ersten neun Monaten des Jahres nur 15,1 Milliarden Euro an
Transaktionen im Sektor, ein Rückgang von fast zwei Dritteln
gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Bei Böroflächen ist der
Rückgang noch stärker: Sie kamen auf nur 3,5 Milliarden Euro,
verglichem mit einem Fünfjahresdurchschnitt von 18,7 Milliarden
Euro. 


Möglich, dass ein Grund die Zurückhaltung von Verkäufern
angesichts der niedrigen Preise ist und die tatsächlichen
Marktwerte noch niedriger liegen — was für Signa und seine
Gläubiger ein weiterer Rückschlag wäre.
Auf dem Upper West lastet etwa eine Hypothek von 300
Millionen Euro. Vor nicht allzu langer Zeit war das ein
Beleihungsauslauf von etwa 50% und damit nicht übermäßig
aggressiv. Fraglich, wieviel Puffer zwischen dem Wert der
Liegenschaft und dem Kredit noch übrig ist — und was steigende
Kreditkosten für den Zinsendienst aus den Mieteinnahmen bedeuten
könnten.


“Die nicht börsennotierten Immobilienfirmen waren bei der
Korrektur ihrer Bewertungen nicht ganz so großzügig”, sagt
Papadakos. “Ich denke, dass es dort am meisten wehtun wird.”