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Agrana - Bittersüße Krisen-Konsequenzen und strategische Neuausrichtung

 

Der Vorstandsvorsitzende Markus Mühleisen ist stolz, dass sein Unternehmen trotz 500 Tagen Krieg, Pandemie, Zusammenbruch eingefahrener Lieferketten und spürbarer Kostensteigerungen das Geschäftsjahr 2022/2023 mit einem Umsatzplus von 25,4 Prozent, einem operativen Ergebnis von plus 83,1 Prozent, einem EBITDA von plus 34,1 Prozent und einer um 1,5 Basispunkte höheren EBIT-Marge (nach 2,4 Prozent) „sehr gut abgeschlossen hat; es war ein ungewöhnliches Jahr mit multiplen Krisen“.

Das letzte Geschäftsjahr hat Agrana auch Negatives gebracht: So ist die Eigenkapitalquote von 48,5 auf 41,8 Prozent zurückgegangen; die Schulden des Unternehmens sind gestiegen, sodass die Schuldenquote von 41,5 auf 54,5 Prozent hinaufgeschnellt und der freie Cashflow ins Negative gefallen ist. Der Krieg hat eine (nicht zahlungswirksame) Minderung des Firmenwertes, vor allem im Fruchtbereich, von 89,7 Millionen Euro verursacht, eine deutliche Erhöhung des Material-, Energie- und Personalaufwands sowie eine Fast-Verdoppelung der Ertragsteuern eingebracht.

Es gibt weitere Positiva von Agrana im letzten Geschäftsjahr: Endlich wurde der Turnaround im Segment Zucker nach drei Jahren Verlustperiode geschafft, allerdings erst nach kräftigen Investitionen in diese Sparte. Zufrieden ist der Vorstand auch, dass die drei Agrana-Standorte in der Ukraine vom nahen Krieg unversehrt geblieben sind und deren Produktion weiterläuft, auch wenn keine Vollauslastung mehr erreicht werden konnte und das Betriebsergebnis ins Negative gedreht hat. Die ungestörte Stromversorgung der ukrainischen Standorte wird durch den Einsatz von Dieselaggregaten gewährleistet. Im Vorjahr hat die Ukraine mehr als 350.000 Tonnen Zucker nach Europa geliefert. Der Agrana-Standort in Russland bei Moskau arbeitet weiter zur Unterstützung der regionalen Marktversorgung: „Wir waren trotz Krieg und Krise jederzeit in allen unseren 55 Standorten lieferfähig“, berichtete Mühleisen.

Harte Kritik an der EU-Agrarpolitik.

„Dennoch verurteilen wir den Angriff auf die Ukraine und stehen voll hinter den Sanktionen des Westens gegen Russland“, versicherte Aufsichtsrats-Vorsitzender Erwin Hameseder. Darüber hinaus macht er keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber der aktuellen Agrarpolitik der EU. Insbesondere wandte er sich gegen die zunehmenden Einschränkungen bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und den zielüberschießenden Regulierungswahn der Brüsseler Behörden: „Die Sicherstellung der Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Lebensmitteln steht leider nicht mehr an der Spitze der EU-Agrarpolitik.“ In Südamerika würden derzeit Nahrungsmittel unter Bedingungen erzeugt und exportiert, die in der EU streng verboten sind, sagte Hameseder unter Bezug auf die aktuelle Debatte über das Mercosur-Handelsabkommen. „Wir erwarten, dass Südamerika zu denselben Standards produzieren muss, wie sie in der EU gelten!“

Betreffend der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Lockerung der bisher rigorosen Vorschriften bei der Genmanipulation von Pflanzen (Stichworte Gen-Editierung bzw. Genschere zur Veränderung der DNA von Pflanzenzellen) gibt sich Agrana abwartend. Hameseder erklärt, die Prüfung der praktischen Auswirkungen dieses gegenwärtig sehr kontrovers diskutierten EU-Vorschlags sei nicht abgeschlossen, sodass noch keine Meinungsbildung erfolgen konnte. Eine Entscheidung darüber werde streng nach dem Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgen. Er gibt zu bedenken, dass dabei nicht nur agrarpolitische Interessen, sondern auch die einschlägigen Konsumentenwünsche berücksichtigt werden müssten.

Die Aspartam-Konkurrenz.

Zum ebenso heiklen Thema „Aspartam“ – ein geruchloser künstlich erzeugter pulverförmiger Süßstoff aus Aminosäuren, der zunehmend bei Getränken, Aufstrichen, Bonbons und Kaugummi sowie in Konserven oder Instantkaffee eingesetzt wird und der von der Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich als möglicherweise krebserregend eingestuft worden ist – meint Hameseder: „Dieser Süßstoff wird keinen relevanten Einfluss auf unseren Zuckerabsatz haben, weil der weltweite Marktanteil künstlicher Süßstoffen derzeit nur bei einem niedrigen einstelligen Prozentanteil liegt.“ Vorstand Mühleisen ergänzte: „Wir sind für die steigende Zuckerperformance in den kommenden fünf Jahren optimistisch und gut gerüstet, auch wenn die Anbaufläche von Zuckerrüben schrumpft, die Zahl der Rübenbauern sinkt, der Rüsselkäfer viele Schäden anrichtet und die Zuckerkampagnen, die früher 120 Tage lang gedauert haben, jetzt tendenziell immer kürzer werden. Die Folge sind höhere Kosten.“

Umstrittene neue Konzernstrategie.

Vorstandsvorsitzender Mühleisen kündigte einen „Aufbruch zu neuen Zielen“ als neues Strategiekonzept für das kommenden Jahrzehnt an. Er begründet das mit der Notwendigkeit, 1. die weiterhin stark wachsende Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren; bis 2010 würde es auf der Erde um 2 Milliarden Menschen mehr geben als heute; 2. mit den deutlicher werdenden negativen Folgen des Klimawandels, 3. mit einer darauf reagierenden Transformation der Landwirtschaft und 4. mit einer gravierenden Änderung des Ernährungsverhaltens der Bevölkerung. Agrana stehe dabei an einer entscheidender Schlüsselstelle, sagte Mühleisen und stellte die neue Konzernstrategie der Agrana vor. Die anstehende Wachstumsphase unter dem Motto „Sustainable Value Growth“ (= nachhaltige Wertsteigerung) reagiere auf die „Disruption traditioneller Wertschöpfungsketten“ und auf die stark wachsende „Nachfrage der Konsumenten nach Naturrohstoffen, die hochtechnische Anwendungen erfordern“.

Das alles klinge wie hohle Zitate aus einer modernen Managerfibel und müsse erst auf den Boden der Tatsachen gebracht werden, meinten Agrana-Aktionäre in der folgenden Debatte in der oHV. Daraufhin nannte der Vorstand konkrete Beispiele für die neue Strategie: Ein künftiger Schwerpunkt werde die Erzeugung natürlicher Geschmackstoffe sein, wie sie etwa auf dem weltweiten Juice-Markt zunehmend verlangt werden; weiters die Forcierung pflanzenbasierter Proteine und bio-basierter Materialien. Darüber hinaus werde Agrana ihre Absatzkanäle diversifizieren, ihr Rohstoffaufkommen längerfristig absichern und neue attraktive Nischenmärkte besetzen. Es handle sich dabei um einen weltweiten 30-Milliarden-Euro-Markt, der mit neuen Applikationen (= Produktanwendungen) gezielt erschlossen werden soll. Eine Zukunftshoffnung sei auch die Herstellung von Fruchtkonzentraten als sogenannte „Compounds“ von Aromen als Grundstoff für die Getränke- und Molkereiindustrie.

Mit diesen Darlegungen reagierte der Agrana-Vorstand auch auf Vorwürfe des Finanzexperten Rupert Heinrich Staller; dieser warf dem Unternehmen vor, dass es zwar viel Know-How habe, es aber schlecht verkaufe, und dass es auf Marktveränderungen künftig rascher als bisher reagieren müsse und wegen übervorsichtiger Bedächtigkeit keine Chancen mehr versäumen dürfe. Staller: „Ich sehe noch kein globales Wachstum, und wo bleiben die großen internationalen Aktionäre Ihres Unternehmens? Finanzvorstand Büttner zählte einige davon auf: Vanguard, Nordisk, Erste Asset Management und Black Rock, jedoch keines dieser Unternehmen mit mehr als 2 Prozent Anteil.

Kontroversen um Dividende ....

Aktionärsvertreter Michael Knap bemängelte, dass die Dividendenauszahlungen der Agrana in den letzten Jahren etwa viermal so hoch gewesen seien als die Gewinne. Er deutete dieses Phänomen mit dem Hinweis, dass die Boni für den Vorstand mit der Höhe der Dividenden zunehmen würden. Der Agrana-Vorstand bestätigte, dass die Dividende für das letzte Geschäftsjahr mit 0,9 Euro pro Aktie (im Vorjahr 0,75 Euro) vorgeschlagen worden sei, was einer Dividendenrendite von 5,3 Prozent entspricht. In der oHV wurde die Dividende nachher mit hoher Mehrheit der Aktionäre beschlossen.

... und Russland-Engagement

Breiten Diskussionsstoff lieferte schließlich die Zukunft des Russland-Engagements von Agrana. Finanzvorstand Stephan Büttner zählte drei mögliche Alternativen auf: fortführen, verkaufen, schließen. Die seiner Ansicht nach vernünftigste Lösung sei die Fortführung, weil sie die geringsten Verluste zur Folge haben würde; eine Schließung würde einen Totalverlust bedeuten und ein Verkauf sei angesichts der russischen Reglements überaus teuer und schwierig. Den Buchwert des russischen Engagements bezifferte Büttner mit etwa 18 Millionen Euro. „Wir müssten beim Verkauf zumindest rund 64 Millionen Euro einnehmen, um mit Null auszusteigen.“ Eine alternative Vision sei, dem russischen Werk das eigenständige Operieren zu gestatten; immerhin habe es zuletzt einen Gewinn von 10 Millionen Euro erwirtschaftet. Insgesamt habe Agrana in Russland derzeit eine Vermögensposition von 13 Millionen Euro erreicht, werde dort aber keine neuen Investitionen mehr vornehmen.

Optimistischer Ausblick.

Für die absehbare Zukunft peilt Agrana eine Optimierung des Working Capitals sowie eine Vertiefung der Wertschöpfungskette an. Sie möchte sich auch engagieren, den laufenden Verlust von produktiven Ackerflächen in den letzten Jahren zu stoppen. Das Unternehmen werde auch seinen Treibhausgas-Fußabdruck genau berechnen, um seinen Gewinn an Nachhaltigkeit nachweisen zu können.

Für das laufende Geschäftsjahr sind Investitionen in Höhe von rund 150 Millionen Euro vorgesehen. Davon werden 16 Prozent in die Verringerung von Schadstoffemissionen, der Gutteil jedoch in die Erweiterung der Erzeugung von Spezialstärken gehen.

Der Umsatz von Agrana im 1. Quartal des laufenden Geschäftsjahres hat sich um 9% auf 966,1 Mio. Euro erhöht, die EBIT-Marge auf 6,6 Prozent und das Konzernergebnis auf 38 Mio. Euro (nach 36,1 Mio.). Die Eigenkapitalquote ist von 41,8 auf 42,3 Prozent gestiegen, die Verschuldungsquote (Gearing) von 54,5 auf 62,1 Prozent.

  

 

Aus dem Börse Express PDF vom 10.07.2023 

 

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