Zur Lage an den Börse: Unberechenbare Geopolitik, berechenbare Unternehmen
Klarerweise haben auch wir das geopolitische Umfeld im Auge. Wichtig ist es aber, einen nüchternen Blick zu behalten. Sie werden keine Anlagestrategie darauf aufbauen können, ob ein Treffen von zwei Staatspräsidenten nun stattfindet oder nicht. Auch die Situation in Italien ist noch nicht Anlass genug, die Strategien gänzlich neu zu definieren – auch wenn es nur eine Frage der Zeit ist, bis in den diversen TV-Talkshows wieder die Untergangspropheten auftauchen; nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren.
Was ist derzeit wichtig für das Gesamtbild: Die Wirtschaft, die Unternehmensgewinne, die Notenbanken und der US-Dollar.
Die Wirtschaft. Die Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft liegen für 2018 unverändert bei etwa 3,7%. So manche Indikatoren zeigten zuletzt Ermüdungserscheinungen und das Momentum lässt nach, woraus man noch keine Trendwende ableiten sollte. An die Adresse all jener, „die es immer schon gewusst haben“: Selbst wenn nun das Wachstum etwas zurückgeht – es ist immer noch wesentlich mehr, als wir uns vor einigen Jahren ehrlicherweise erwartet hätten. Viele Basiseffekte sind beständige Begleiter – unabhängig von der Politik: die Digitalisierung, die Urbanisierung, das grundsätzliche Wachstum der Weltbevölkerung, die Aufholprozesse vieler Emerging-Markets und die Kraft von China oder Indien.
Die Unternehmensgewinne. Die aktuell laufende Berichtssaison brachte in Summe ein doch positives Bild. Negative Kursreaktionen lagen mehr an oft eher überzogenen Erwartungen als an echten Enttäuschungen. Entscheidend werden aber wohl erst die kommenden Quartale. Angesichts eines verbreiteten Fachkräftemangels nimmt der Lohndruck zu. Die Input-Kosten auf der Rohstoffseite sind zuletzt deutlich gestiegen. Das wird da und dort Spuren in den zukünftigen Gewinnmargen hinterlassen. Die Auswirkungen von Zöllen muss man je Unternehmen gesondert bewerten. …
Die Notenbanken. Wie an dieser Stelle zuletzt häufig erwähnt, stellt 2018 das Übergangsjahr dar. Global betrachtet lässt in Summe der Rückenwind durch die Gelddruckaktivitäten der Notenbank nach. Die Amerikaner sind dabei, die Geldmenge zu schrumpfen. Auch die EZB wird um eine Neudefinition nicht umhinkommen, auch wenn sich aufgrund von Italien die Ausgangslage sicherlich nicht vereinfacht hat. Es lässt sich nicht exakt berechnen. welchen Anteil die Geldschwemme am Anstieg der Kurse von Anleihen, Immobilien und Aktien hatte. Zweifelsfrei sollte sein, dass der Anteil beträchtlich ist. Die Entwöhnung ist wichtig, alternativlos und wird da und dort nicht ganz schmerzfrei verlaufen. Es bleibt daher angesagt, die globale Liquiditätssituation immer im Auge zu behalten.
Der US-Dollar. Grundsätzlich scheint bezüglich Währungsprognosen eine gewisse Demut angebracht. Währungen sind wohl die am wenigsten mit Fakten berechenbare Asset-Klasse. Der jüngste Anstieg des US-Dollars zum Euro bestätigt die Kernüberzeugung, dass zu einer Geldanlagestrategie auch Fremdwährungen gehören - alleine aus Gründen der Diversifikation. Der aktuelle Anstieg ist zweischneidig. Einerseits stärkt dieser die europäische Exportindustrie, andererseits verteuert der Dollar die ohnehin schon steigenden Rohstoffpreise aus Euro-Sicht weiter. Zudem: Die Emerging-Markets sind - abgesehen von den bekannten Beispielen wie Venezuela, Argentinien und Türkei - in einer grundsätzlich soliden Verfassung. Wesentliche Teile der Staatsschulden werden aber in Dollar gehalten. Steigende US-Zinsen und eine steigende US-Währung würden die Aussichten eintrüben. Trotz der auf den ersten Blick positiven Effekte im Depotauszug sollten wir uns mittelfristig und insgesamt keine massive Dollar-Aufwertung wünschen.
Die Anlagewelt ist bunt. Wenn man nicht klar sagen kann, wie die Entwicklung der Geopolitik in den kommenden drei Tagen oder drei Wochen sein wird, dann macht es durchaus Sinn seine Zeit damit zu verbringen, sich die 3-Jahres-Pläne von Unternehmen anzusehen. Geht man die Listen jener Unternehmen durch, die wir in den vergangenen Wochen für unsere verschiedenen Fonds erworben haben, dann findet man viel Kreatives: Alibaba aus China, Panasonic aus Japan, den US-Techtitel Cognizant, den deutschen Maschinenbauer Dürr, die heimische voestalpine und die eine oder andere Goldmine. Die Anlagewelt ist bunt. Im Gegensatz zur Geopolitik, die oft in Schwarz-Weiss-Mustern zum Ausdruck kommt…
Aus dem Börse Express PDF vom 4. Juni
Relevante Links: voestalpine AG, Dürr AG