Georg Kapsch: „Dann können wir unser Sozialsystem an den Nagel hängen“
Börse Express: CEO des Jahres in der Kategorie International – gewählt durch Ihre Vorstandskollegen unter den ATXPrime-Unternehmen – auch wurden Sie als Präsident der Industriellenvereinigung (IV) im Amt bestätigt. Ich gehe einmal davon aus, dass das wenig mit Glück zu tun hat: Was macht Sie aus Ihrer Sicht aus?
GEORG Kapsch: Meine Fähigkeit zuzuhören und die Fähigkeit, Dinge mutig anzusprechen - mir kein Blatt vor den Mund nehme. Und ich glaube sehr gut mit Menschen kommunizieren zu können.
Börse Express: Kein Blatt vor den Mund nehmen klingt danach, als ob man es damit schwieriger hätte, irgendwohin gewählt zu werden...
GEORG Kapsch: Da bin ich vom Gegenteil überzeugt. Man sieht auch im Wahlverhalten der österreichischen Bevölkerung, dass das Blatt vor den Mund nehmen auch nicht förderlich ist. Ich bin überzeugt, dass die Menschen die Wahrheit vertragen und verstehen, wie eine Situation ist, wenn man transparent kommuniziert. Sicher keine erfolgversprechende Methode ist, Menschen lange Zeit etwas vorzugaukeln, was nicht ist.
Börse Express: An Sie nicht nur als CEO von Kapsch TrafficCom, sondern vor allem als Präsident der IV: Sie müssen CETA zwar wohl jedenfalls positiv beurteilen - was aber ist Ihr Argument dafür, das entweder in der öffentlichen Diskussion falsch oder gar nicht vorkam?
GEORG Kapsch: Die IV und ich sind grundsätzlich ein Befürworter des Freihandels, denn dieser führt einfach zu mehr Wohlstand. CETA, spezifisch betrachtet, ist für die EU, für Österreich aber auch für Kanada ein gutes Abkommen: es gibt keine Zölle mehr und freien Zugang zu den jeweiligen Märkten. Hier wurde ein sehr fairer Ausgleich gefunden. Eigentlich müssten die Kanadier vor den Europäern mehr Angst haben als umgekehrt - denn warum sollten sich 550 Millionen Europäer vor 30 Millionen Kanadier fürchten? Das ist doch lächerlich.
Wir haben in Kanada Sozial- und Umweltstandards, die um nichts schlechter sind als in Europa. Und wir haben in Kanada ein höheres Pro-Kopf-Einkommen in der Bevölkerung als in Europa.
Wir haben im Vertrag fixiert, dass jeder Staat seine Souveränität behält und das Thema Schiedsgerichte verstehe ich überhaupt nicht: Österreich hat 60 Investitionsschutzabkommen und da sind fast überall Schiedsgerichte enthalten - und österreichische Unternehmen klagen in all diesen Ländern wesentlich mehr als umgekehrt. Es ist zu unserem Schutz. Als Unternehmer bin ich jedenfalls froh, wenn es Schiedsgerichte gibt - die sind schneller und pragmatischer als der 'ordentliche Rechtsweg' - und wenn es den 'ordentlichen Rechtsweg' gibt streiten wir wieder über die Zuständigkeit - ist es ein österreichisches oder kanadisches Gericht, oder der EUGH?
Ich verstehe vor allem nicht, warum sich die Arbeitnehmerseite so auf dieses Thema gesetzt hat und etwa der MES (Anm. Market Economy Status) Chinas nirgendwo auftaucht. Dort droht eine echte Gefahr für Europa und seine Arbeitsplätze. Sobald China diesen Status hätte, würden wir uns etwa mit Anti-Dumping-Verfahren wesentlich schwerer tun. Dort droht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich Schlimmes.
Börse Express: In der Praxis bringt CETA oder TTIP für Kapsch TrafficCom wohl eher Nach- als Vorteil, da Sie ja ohnehin bereits in den USA mit einer dort zugelassenen Niederlassung tätig sind...?
GEORG Kapsch: Für mein Unternehmen gilt: ich brauche weder CETA noch TTIP. Aber man muss volkswirtschaftlich denken. Und gerade die Klein- und Mittelbetriebe brauchen diese Abkommen - die großen Unternehmen sind ohnehin dort. Jeder zehnte Arbeitsplatz ist gesichert durch Exporte in die USA - auf europäischer Ebene sind es 15 Prozent - das kann man doch nicht negieren.
Börse Express: Kommen wir rein nach Europa und der Diskussion zu unserer Rolle in der EU. Da Sinn und Zweck wohl außer Frage stehen - was ist denn da zuletzt falsch gelaufen, dass wir überhaupt in so eine Diskussion gekommen sind - und kann man daraus etwas für Österreich lernen - Stichwort Föderalismus?
GEORG Kapsch: Die Europäische Union ist mit ihren vier Grundfreiheiten als Friedens-, Deregulierungs- und Liberalisierungs-Projekt entstanden. Wir waren aber noch nie so reguliert wir heute. Die europäischen Institutionen haben sich von der Bevölkerung einfach entfernt, wozu aber auch die nationalen Regierungen beigetragen haben. Denn alles was schlecht ist kommt aus Brüssel, und alles was gut ist aus dem Nationalstaat. Was so natürlich völlig falsch ist, da der Rat das Letztentscheidungsgremium ist - und das sind die Staaten.
Auf einer anderen Ebene sehen wir das aber auch - etwa in Österreich. Denn was machen die Bundesländer? Alles was gut ist, kommt von uns - alles was schlecht ist aus Wien - das ist genau das gleiche Spiel. Das fördert natürlich weder das Vertrauen in Wien noch Brüssel.
Dazu gibt es größere Themen wie etwa die Flüchtlingskrise, bei der Europa kläglich versagt hat. Wir sind nicht in der Lage, die paar Flüchtlinge in Europa gerecht zu verteilen - da fehlt die Solidarität.
Börse Express: Was wäre so ein Weg aus dieser Sackgasse?
GEORG Kapsch: Die EU ist schnell gewachsen und hat nicht so integriert, wie sie hätte sollen. Heißt, die Nationalstaaten müssten eigentlich weitere Souveränität nach Brüssel abgeben - damit würde man die europäische Bevölkerung jetzt aber überfordern. Was also tun? Es gehört auch das Prinzip der Subsidiarität ausgebaut: was regional besser gelöst werden kann, soll auch dort passieren - und Überregionales in Brüssel. Heute regeln wir vieles in Brüssel, das eigentlich regional zu lösen wäre - und wesentliche Dinge, für die eigentlich Brüssel zuständig sein sollte, lösen wir auf nationaler Ebene. Dazu müsste man die europäische Bevölkerung näher an Brüssel heranführen - indem man etwa auch Direktwahlen zulässt. Warum muss ich bei einer EU-Wahl eine Österreicherin oder einen Österreicher wählen und kann etwa keinen Spanier oder keine Spanierin wählen, wenn ich glaube, dass diese oder dieser kompetenter ist? Natürlich müsste der ganze Populismus aufhören - gute Nacht Österreich sage ich, wenn wir aus der EU austreten sollten, weil früher ja angeblich alles besser war.
Natürlich ist es richtig, dass heute in Österreich real teils weniger verdient wird als vor zwanzig Jahren - die Kaufkraft hat sich verschlechtert. Das liegt aber nicht an der EU - die Situation wäre ohne noch viel schlimmer. Dann können wir unser Sozialsystem an den Nagel hängen, unseren Wohlstand etc.
Leider sind Angst und negative Aspekte aber leichter zu kommunizieren als Positives - mit der Angst zu spielen, hat in der Geschichte viel zu oft funktioniert.
Börse Express: Bundeskanzler Kern ist mit einem ‘New Deal’ angetreten - wie würde dieser bei Ihnen aussehen?
GEORG Kapsch: Ein New Deal wäre das Angreifen der wirklich großen Themen in diesem Land: Wir brauchen mehr Freiheit und weniger Regulierung und weniger Bürokratie. Das kann man teils national angehen, wir brauchen dazu aber auch die europäische Ebene. Dass wir dann in der Umsetzung von Brüsseler Vorgaben immer zu den Musterschülern zählen wollen und immer noch ein Äutzerl draufpacken, das wiederum ist ein österreichisches Spezifikum. Beispiel Energieeffizienzgesetz, Lohn- und Sozialdumping-Gesetz etc.
Die Themen sind Pensionsreform, Bildungsreform, wo Gott sei Dank etwas geschehen ist, das Thema Gesundheitswesen, Bundesstaatsreform und wir brauchen eine grundlegende Steuer- und Aufgabenreform des Staates: dieser soll sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und den Rest privatisieren.
Börse Express: Das sind alles Dinge, die länger brauchen bis sie greifen - wir haben aber jetzt eine hohe Arbeitslosigkeit und schwaches Wirtschaftswachstum. Sind staatliche Infrastruktur/Konjunkturprogramme für Sie eine Lösung bzw. Möglichkeit?
GEORG Kapsch: Ich befürworte Infrastrukturprogramme, wenn diese einen Hebel für den Standort entfalten. Es ist aber evident, dass der Hebel bei privaten Investitionen deutlich höher ist als bei staatlichen. Bei einer Verschuldung von 280 Prozent des BIP, wenn ich alle Zusagen einrechne, die Bund und Länder bereits gegeben haben, glaube ich nicht, dass wir massiv in öffentliche Investitionen gehen sollten - das muss ja auch irgendwann zurückgezahlt werden. Heißt, wir können es uns schlichtweg nicht leisten. Bereits jetzt geht nur ein Viertel des Budgets in zukunftsgerichtete Investitionen, der Rest geht für Zusagen aus der Vergangenheit drauf' - das ist ein bedenkliches Verhältnis.
Nachteil von Konjunkturprogrammen ist, dass diesen die Nachhaltigkeit fehlt - kurz geht die Beschäftigung vielleicht nach oben, danach sinkt sie sofort wieder. Es geht also vielmehr darum Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Unternehmen wieder mit Freude investieren.
Börse Express: Bei Kapsch TrafficCom selbst läuft im November nächsten Jahres die derzeit einzige Unternehmensanleihe aus. Wie waren Ihre Erfahrungen damit? Werden Sie dieses Instrument als Finanzierungsquelle weiter nutzen und was heißt das in Bezug auf die Refinanzierung der in etwa noch offenen 70 Millionen Euro aus dieser Anleihe?
GEORG Kapsch: Die Anleihe ist ein sehr angenehmes Kapitalmarktinstrument: man begibt sie und hat die Mittel für eine bestimmte Zeit. Wenn man als Unternehmen gut performt, bekommt man auch relativ leicht Mittel, um dieses Geld dann wieder zu refinanzieren. Wir etwa haben bereits ein Schuldscheindarlehen begeben, um die Mittel für nächsten November bereits reserviert zu haben. Wir haben also derzeit relativ hohe Liquidität.
Börse Express: Das veranlagen Sie im aktuellen Niedrigzinsumfeld wie?
GEORG Kapsch: Wir sind bei Veranlagungen sehr vorsichtig, da wir grundsätzlich kein Risiko eingehen wollen. Denn ein Unternehmen hat nicht zu spekulieren.
Börse Express: Das IPO machten Sie 2007 mit 32 Euro, heute steht die Aktie bei rund 40 Euro – dazu gab’s 6,4 Euro an Dividende – in diesem Zeitraum stieg der Umsatz von knapp 200 auf mehr als 500 Millionen Euro und der Überschuss von rund 18 auf knapp 40 Millionen. Das sieht nach einem schlussendlich für beide Seiten recht gutem Geschäft aus. Würden Sie mit den Erfahrungen der letzten Jahre Ihr IPO nochmals machen?
GEORG Kapsch: Sie machen jetzt eine Stichtagsbetrachtung, denn die Aktie durchlebte zwischendurch so etwas wie eine Hochschaubahnfahrt: erst hinauf auf 70 Euro, dann in der Finanzkrise zurück auf 12, dann wieder rauf. Heute stehen wir bei rund 40. Meine Aufgabe und die meiner Vorstandskollegen ist aber, das Unternehmen bestmöglich zu führen und nicht ständig auf den Aktienkurs zu schielen. Dieser ist zwar auch, aber nicht nur eine Folge der Unternehmensentwicklung.
Zur Erfahrung: grundsätzlich eine sehr gute - das Thema ist aber, dass sich seit unserem Börsegang die Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt - und da meine ich nicht die Wiener Börse - massiv verschlechtert haben. Angefangen von Publizitätsvorschriften, Haftungsbedingungen, das Thema Compliance und Governance ist in einem unerträglichen Ausmaß ausgeufert ... das ist ein Thema, zu dem sich Europa etwas überlegen muss. So wird man kaum mehr Unternehmen für einen Börsegang gewinnen, außer sie müssen. Es ist das Regulativ des Kapitalmarktes, wo wir massiv zurückschrauben müssen.
Börse Express: Sie haben die Wiener Börse gerade ein wenig in Schutz genommen - verstehen Sie trotzdem Unternehmen wie RHI, die der Wiener Börse den Rücken kehren?
GEORG Kapsch: Ich tu mir schwer, andere Unternehmen zu beurteilen, da ich die Beweggründe nicht kenne. Natürlich verstehe ich Unternehmen, wenn diese ihre Notierung dorthin verlagern, wo die Kapitalmarktvorschriften vielleicht nicht so streng ausgelegt werden, wie es in Österreich der Fall ist.
Börse Express: Wenn man Ihre Startseite besucht fällt auf, dass immer wieder auf starke Marktstellungen hingewiesen wird. Ist Größe in Ihrem Geschäft ein so wichtiger Faktor? Und wenn dem so ist – wohin wollen/müssen Sie noch kommen?
GEORG Kapsch: Wir sind bei vollelektronischen, vollautomatischen Mautsystemen sicher die stärksten am Markt, weltweit. Das haben wir uns in den letzten 15 Jahren erarbeitet. Größe ist dabei weniger das Thema, es ist der Marktanteil - das gilt aber für jedes Produkt. Unser Markt ist eine Nische, in der wir uns bewegen und wachsen - wahrscheinlich machen wir also mehr richtig als falsch.
Börse Express: Sehen Sie dieses angesprochene Wachstum als endlich an, da das Unternehmen zuletzt andere Bereiche wie Verkehrsleitsysteme an Bord holte?
GEORG Kapsch: Das hat weniger mit Wachstum als mit Konvergenz von Technologien zu tun. Ich komme ursprünglich aus der Telekombranche und habe die Konvergenz mit der IT-Branche miterlebt: vor 20 Jahren hat die mächtige Telekom-Branche über IT-Unternehmen noch gelacht - heute sind viele davon Töchter von IT-Unternehmen. Wenn man das einmal mitgemacht hat, betrachtet man einen Markt ganz anders. Man schaut auf Industrien, die in die eigene Branche einzubrechen drohen und muss das offensiv für sich einzusetzen versuchen.
Wir versuchen die Konvergenz selbst zu treiben, wollen vorne mitspielen. Daher der Schritt in neue Segmente wie Mobility, Verkehrsmanagementsysteme und autonomes Fahren. Das sind Themen, die irgendwann einmal zusammenwachsen werden, man also überall seine Finger im Spiel haben muss, um dann im entscheidenden Moment auf das richtige Pferd setzen zu können. Das ist wie bei dem Beatles Lied ‘The Long and Winding Road’ - ein Trial and Error-Weg, bis man auf dem richtigen ist.
Börse Express: Fehlt Ihnen da jetzt noch ein Puzzlestein?
GEORG Kapsch: Das Ziel war, in Städte einzusteigen. Daher wurde Schneider Electric Transportationen gekauft. Streetline wurde gekauft, um Parkmanagementsysteme im Portfolio haben - das wird auch beim autonomen Fahren ein Thema werden. Steuerung und Leitsysteme sind unsere Stärken - darauf wollen wir uns auch konzentrieren.
Börse Express: 2017 gibt es Kapsch TrafficCom 10 Jahre an der Börse. Wird es da Spezielles von Ihnen dazu geben - etwa Sonderdividende, Festveranstaltung …?
GEORG Kapsch: Nein, auch wenn ich mich als Großaktionär natürlich selbst freuen würde. Eine Dividende sollte aber von der aktuellen finanziellen Situation des Unternehmens abhängig sein, und von den geplanten Investitionsprojekten - und nicht von einem Jahrestag.
Börse Express: Zum Abschluss möchten Sie was mitgeben?
GEORG Kapsch: Ich appelliere an die Bundesregierung, wirtschaftsfördernde Maßnahmen zu setzen - und das heißt Deregulierung, vor allem im Arbeitsrecht zeitgemäße Rahmenbedingungen zu schaffen - im Sinne von Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und –nehmern.
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