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Monika Rosen: „20.000 Punkte im Dow Jones sollten bis zur Jahresmitte 2017 zu schaffen sein“

Börse Express: Die US-Börsen erreichten zuletzt der Reihe nach neue Rekorde - von der technologielastigen Nasdaq bis zum altehrwürdigen Dow Jones. Wenn wir einmal das Argument Zinsen außen vor lassen - was sind die Gründe für diesen Höhenflug? Die Gewinnentwicklung kann es ja nicht sein, da diese heuer gerade noch mit einer schwarzen Null vorausgesagt wird.

MONIKA ROSEN: Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17,2 hat der S&P 500 nun ein Niveau erreicht, das in den letzten 15 Jahren nur wenige Monaten lang übertroffen wurde. Unserer Ansicht nach ist der jüngste Rückgang der Staatsanleiherenditen kein ausreichend starkes Argument, um automatisch einen weiteren Anstieg der Bewertungen zu erwarten. Wir haben den US-Markt daher in unserer Asset Allocation auch untergewichtet, weil wir in anderen Märkten bessere Chancen sehen.

Was die Gründe für den Höhenflug betrifft, sind wir schon der Meinung, dass die weltweit lockere Geldpolitik die Aktienkurse treibt. Außerdem profitiert die Wall Street von ihrer Funktion als Leitbörse und ihrer hohen Liquidität.

Börse Express: Vor der Tür stehen auch die US-Präsidentschaftswahlen. So wie es aussieht, ist die trotz allem Wirtschaftssupermacht Nummer 1 politisch und gesellschaftlich mehr zerrissen als geeint. Sind da größere Störfeuer für die Märkte zu erwarten und welcher Kandidat wäre für die Börse besser?

Die politische Zerrissenheit sehen wir weniger problematisch als die Chance auf einen Sieg von Donald Trump. Er ist sicher der problematischere Kandidat, und er wurde auch schon in den Vorwahlen unterschätzt. Im Moment geht die Wall Street stark davon aus, dass er unterliegt. Sollten seine Zustimmungswerte in den Umfragen allerdings steigen, dürfte dies die Unsicherheit erhöhen, angesichts seiner häufig inkohärenten und umstrittenen politischen Vorschläge und Wahlversprechen.

Grundsätzlich ist zu sagen: Mit Blick auf US-Wahljahre, in denen der amtierende Präsident nicht zur Wiederwahl antrat und sich zwei neue Kandidaten bewarben, zeigt die Erfahrung, dass der S&P 500 im Herbst vor dem Wahltag oft rückläufig war. Speziell nach dem jüngsten Höhenflug könnte es also auch Gewinnmitnahmen geben.

Börse Express: Das US-Defizit war zuletzt kein Thema - zum Positiven gedreht hat sich dort aber auch nichts. Ein Thema, das absehbar wieder kommt, etwa nach den Präsidentschaftswahlen?

Das US-Defizit war zuletzt leicht rückläufig. Das Steueraufkommen der Privaten ist durch den starken Arbeitsmarkt gestiegen. Gleichzeitig steigen aber auch die Staatsausgaben, einerseits durch Obamacare, aber auch auf Grund der älter werdenden Bevölkerung (auch in den USA ein Thema, wenn auch weniger stark als in Europa). Beide Präsidentschaftskandidaten, Hillary und Trump, wollen allerdings massiv in die US-Infrastruktur investieren - die das auch vertragen würde! Trump will auch die Steuern massiv senken. Das würde das Defizit ansteigen lassen, was spätestens dann zum Problem wird, wenn die Anleger ihren Appetit auf Staatsanleihen etwas verlieren - dafür gibt es derzeit allerdings noch keine Anzeichen.

Börse Express: Inkludieren wir in unserer Betrachtung wieder die Zinslandschaft. Klar, dass in einem Nullzinsniveau die Alternative Aktie allgemein als attraktiver gilt: sehen Sie das auch so und für welchen Zeithorizont sollten sich Anleger auf ein sehr tiefes Zinsniveau einstellen? Und sehen Sie das mit der Aktie als alternativlos auch so?

Wir sind der Meinung, dass eine Beimischung von Aktien speziell in der aktuellen Tiefzinsphase durchaus sinnvoll ist. Eine Streuung über verschiedene Assetklassen kann daher nicht nur die Rendite verbessern, sondern auch die Schwankungsbreite verringern und substanzielle Verluste vermeiden helfen.

In der Eurozone erwarten wir bis auf weiteres keine Straffung der Geldpolitik, sicher nicht im Jahr 2017. In den USA ist das anders, dort sehen wir die Chancen für eine Zinsanhebung im heurigen Jahr als intakt an, wahrscheinlich im Dezember.

Börse Express: Natürlich nutzen auch Unternehmen die tiefen Zinsen zur Refinanzierung. Wird hier Ihrer Meinung nach maßvoll mit diesem Instrument umgegangen, oder kommt hier ein gröberes Bedrohungspotenzial auf uns zu, wenn die Zinsen dann doch einmal steigen und die Zinslasten schwerer zu stemmen sind? Immerhin stemmen mittlerweile selbst Blue Chips wie Bayer Großzukäufe mittels Fremdkapital (Anm. es ist von 75 Mrd. Euro die Rede) und nehmen in Kauf, beinahe ihr Investment Grade zu verlieren, während früher nicht so unweit von Rekordkursen eine Kapitalerhöhung dafür verwendet worden wäre. Und wenn Aktien wirklich die verbliebene Anlagealternative sind, müsste sich so eine Kapitalerhöhung eigentlich auch verkaufen lassen...

Die massiven Anleihenkäufe durch die Notenbanken in Europa - EZB, und nun auch wieder Bank of England - haben die Renditen von Unternehmensanleihen zuletzt wieder nach unten gedrückt, und zwar auf den tiefsten Stand seit Sommer des Vorjahres. Das gilt übrigens für Unternehmensanleihen aus den USA und der Eurozone.

Unternehmensanleihen sind wohl eine Anlageklasse, die von den Maßnahmen der Notenbanken direkt betroffen sind. Solange diese am Markt agieren, bleibt die Nachfrage rege und man kann es den Unternehmen nicht verdenken, wenn sie diese Chance nutzen. Eine gewisse Gefahr besteht sicher, wenn sich die Notenbanken einmal als Käufer zurückziehen, was früher oder später der Fall sein wird. Bei Hochzinsanleihen sehen wir den hohen Anteil an Emittenten aus dem Rohstoffbereich nicht ganz unproblematisch, weshalb wir dort große Zurückhaltung üben. Bei Unternehmensanleihen sind wir aber sehr wohl investiert.

Grundsätzlich sind wir bei Anleihen unter- und bei Aktien übergewichtet, weil wir bei Anleihen das wesentlich größere Rückschlagspotenzial sehen.

Börse Express: Längerfristig ist ihr Blick auf die US-Wirtschaft?

Die US-Konjunktur hat im 1. Halbjahr 2016 enttäuscht, das Wachstum betrug in Summe nur magere 1 Prozent. Der private Konsum hat mit 4,2% Zuwachs sehr wohl seinen Beitrag geleistet, aber die privaten Investitionen waren rückläufig. Dazu kam ein erheblicher Lagerabbau, was das Wachstum ebenfalls belastete. Wir gehen davon aus, dass der Lagerzyklus die Talsohle durchschritten hat und dass die US-Konjunktur im 2. Halbjahr anzieht. Da der Jahresstart aber sehr schwach ausfiel, senken wir unsere Prognose für das Gesamtjahr 2016 von zuvor 1,9 auf 1,5 Prozent. Für 2017 erwarten wir derzeit wieder eine Beschleunigung auf 2 Prozent.

Börse Express: Aus all dem bisherigen schließen Sie dann Was für Anlageentscheidungen?

Börse Express: - Würden Sie etwa als Euro-Anleger US-Dollar Positionen absichern, oder ist hier die Chance größer als das Risiko?

Wir sind bei US-Aktien untergewichtet, der Dollar ist allerdings nicht abgesichert. Unsere vorsichtige Haltung drückt sich in unserer Gewichtung aus. Einen massiven Verfall des Dollars zum Euro sehen wir aber nicht.

Börse Express: - Branchenseitig gefällt Ihnen welche Anlagestory - und welche halten Sie für ein wenig überzogen?

Die ‘Stable Growth’-Sektoren halten wir für attraktiv, heißt Health Care, Food & Beverage sowie Personal & Household Goods). Ihr Gewinntrend ist widerstandsfähig, und höhere Bewertungen sind in stabileren Sektoren wahrscheinlicher. Bei Zyklikern sind wir eher zurückhaltend.

Börse Express: Wie steht es mit der Ölbranche - mit dem Ölpreis kamen auch die dortigen Branchenvertreter unter Druck und sie notieren im Schnitt mehr als 20 Prozent unter ihren Hochs, die der Gesamtmarkt nun wieder erreichte. Kann man sich da schon wieder hineinwagen, oder ist es schon wieder zu spät, nachdem es von dem Vorjahrestiefs zumeist 30 und mehr Prozent nach oben ging, womit der Markt in kurzfristig outperformt wurde?

Nach langer Durststrecke gehören Ölaktien heuer zu den Top-Performern, eventuell ist es da ein wenig spät, dem nachzulaufen. Dem Quartalsbericht von Schlumberger war zu entnehmen, dass einige US Ölfirmen die Förderung ankurbeln, da sie höhere Preise erwarten; genau das könnte einem dauerhaften Preisanstieg entgegen wirken.

Börse Express: Haben Sie eine Meinung zu Apple? Oder lassen Sie mich so fragen: Kann ein hochpreisiges Markenprodukt in Massenmärkten in einem wirtschaftlich eher mauem Umfeld das wertvollste Unternehmen der Welt sein?

Die Tatsache, dass viele Hedgefonds Apple zuletzt verkauft haben, Warren Buffett hingegen zugekauft hat, wird als Indiz genommen, dass Apple immer mehr zum Value Stock wird; die Wachstumsraten gehen zurück, dafür bietet Apple eine stabile Dividende (2,03 US-Dollar im Geschäftsjahr 2015) und einen hohen Cash Polster.

Börse Express: Wenn Sie Ihre imaginäre Kristallkugel auspacken: Wann glauben Sie, dass der Dow Jones die runde Marke von 20.000 Punkten erreichen könnte?

Vom aktuellen Stand weg sind das weniger als 8 Prozent, das sollte bis Jahresmitte 2017 zu schaffen sein.


Aus dem Börse Express PDF vom 19. August. Dort mit allen Charts und Grafiken, Rankings von US-Aktien nach diversen Bewertungskriterien, einem großen Fondsranking, einem Blick auf die Geschichte der Wall Street... Zum Abo geht es unter http://bit.ly/byCn49 - Abonnenten haben Zugriff auf das komplette PDF-Archiv