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Social Progress: Wo es sich am besten lebt
Sonja Hammerschmid ist eine Ausreißerin und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Seit 105 Jahren besteht die Universitätenkonferenz (vulgo Rektorenkonferenz) und ebenso lange hat es gedauert bis erstmals eine Frau an die Spitze dieses altehrwürdigen Gremiums vorgerückt ist. Im Dezember 2015 wurde Sonja Hammerschmid, studierte Biologin und zu diesem Zeitpunkt Rektorin der Wiener Vet-Med, als erste Frau zur Präsidentin der Uniko - so die Kurzform - gewählt. Eine Position, die sie allerdings nicht lange bekleidete, denn schon im darauffolgenden Mai wurde sie als Bildungsministerin ins Team des neuen Bundeskanzlers Christian Kern (SPÖ) berufen. Eine Berufung, die man durchaus auch als Ausreißer bezeichnen kann, denn Hammerschmid war bereits vorher als Forschungsstaatssekretärin von Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Gespräch. Diesfalls allerdings auf einem ÖVP-Mandat - durchaus eine Seltenheit in Österreich. Sie selbst erklärte ihre politische Ausrichtung einmal so: „Ideologisch bin ich ein Arbeiterkind, SPÖ, ÖVP, aber auch NEOS haben Themen, die mich ansprechen.“
Ein ‘studiertes Arbeiterkind’ und das in Österreich, das ist - zumindest statistisch betrachtet - der dritte Ausreißer, den die neue Bildungsministerin für sich in Anspruch nehmen kann. „Wenn es nach aktuellen Bildungsstudien ginge, hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht maturiert, geschweige denn ein Studium abgeschlossen.“, formulierte sie selbst in einem Kommentar für die Presse im März dieses Jahres. Als Bildungsministerin wird sie einiges zu tun haben, um die verfahrene Situation in der österreichischen Bildungspolitik, die seit Jahren vom ideologisch untermauerten, politischen Ränkespiel der Parteien und machtpolitischen Ansprüchen der Landesfürsten geprägt ist, zu entwirren - doch dazu später.
Szenenwechsel. Österreich ist Top, was den sozialen Fortschritt - oder auch die Lebensqualität - betrifft. Zumindest behauptet das die Organisation The Social Progress Imperative, die alljährlich den Social Progress Index errechnet und publiziert. 147 Seiten umfasst der Bericht, der mit Hilfe von 53 Indikatoren die gesellschaftliche Entwicklung in 133 Ländern dieser Welt untersucht. In den Index fließen in erster Linie soziale und ökologischen Faktoren ein. Hintergrund für die komplex anmutende Berechnungsmethodik (allein das Dokument, das die Methodik erläutert umfasst, 41 Seiten) ist die Erkenntnis, dass die Höhe des Bruttoinlandsproduktes wenig über den tatsächlichen Zustand einer Gesellschaft aussagt. Josef Obergantschnig, CIO der Security KAG formuliert es in einem Blog so: „Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert und erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit unter den Volkswirten.“
It’s not (only) the money - stupid. Tatsächlich tun sich, bei einer Gegenüberstellung von BIP und Social Progress Index (SPI), in manchen Ländern erstaunliche Diskrepanzen zwischen der Höhe des BIP/Kopf und der Platzierung im SPI-Ranking auf (siehe dazu Tabelle 1.2 weiter hinten).
Beispiel Costa Rica: Das zentralamerikanische Land findet sich in einem Ranking, welches nur das BIP/Kopf unter den 133 untersuchten Nationen misst, auf Platz 51. Mit einem BIP/Kopf von 9120 US-Dollar liegt das Land mit seinen rund 4,9 Millionen Einwohnern weit hinter dem südamerikanischem Land Venezuela (BIP/Kopf: 12.794 - Platz 40). Zieht man allerdings den Social Progress Index als Maßstab heran, dreht sich das Verhältnis gewaltig. In dieser Wertung liegt Costa Rica nämlich unter den Top 30 der 133 untersuchten Nationen (Platz 29), während sich Venezuela mit Platz 81 begnügen muss. Costa Rica punktet etwa im Bereich „Access to Basic Knowledge“, in dem neben vier anderen Faktoren unter anderem die Alphabetisierungsrate in einem Land gemessen wird. Das mittelamerikanische Land erreicht bei dieser Kennziffer 96,67 Punkte und schneidet in diesem Fall sogar besser ab als Österreich (96,15 Punkte) - und die Alpenrepublik belegt immerhin einen Top-Platz in der Gesamtwertung.
Apropos Österreich: Während sich unser Land in zahlreichen anderen Wirtschaftsindex-Rankings nur mehr selten unter die Top 20 vorarbeiten kann, erreicht es beim Social Progress Index-Ranking immerhin Platz 13. Österreich führt damit die Liste jener 26 Länder an, denen die Studienautoren einen hohen „Social Progress“ bescheinigen. Angeführt wird das Gesamtranking übrigens von Finnland, vor Kanada und Dänemark. Diesen und weiteren neun Ländern wird in der Studie das Gütesiegel „Very high Social Progress“ verliehen.
Dringt man tiefer in die Studie ein und durchleuchtet das Österreich-Ergebnis in den drei Unterkategorien (siehe Infobox auf der nächsten Seite), so zeigt sich, dass unser Land nahezu perfekt aufgestellt ist, wenn es um die Befriedigung der grundsätzlichen menschlichen Bedürfnisse geht. Mit 95,67 von 100 möglichen Punkten liegt Österreich in der Kategorie ‘Basic Human Needs’ weltweit sogar auf Platz 6 (siehe Grafik 1.3). In punkto Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser bzw. sanitären Möglichkeiten (Kategorie Basic Human Needs - Water and Sanitation) ist unser Land sogar an erster Stelle zu finden (gemeinsam mit Zypern, Australien und Israel).
Allein, je weiter man in andere Bereiche vordringt, desto differenzierter - um nicht zu sagen schlechter - wird das Bild. Reicht es bei den grundsätzlichen Bedürfnissen für einen Platz unter den Top 10, so schafft es Österreich im Bereich Wohlergehen (Foundation of Wellbeing) nur mehr auf Platz 12. So richtig dick kommt es aber, wenn es um die Chancen und Möglichkeiten für den Einzelnen geht. Da fällt unser Land auf Platz 17 zurück. Einer der Gründe liegt dabei im schlechten Abschneiden beim Zugang zu höherer Bildung (Advanced Education - Platz 33). Entsprechend auch das Urteil der Studienautoren: „Underperforming“ lautet es.
Zeit, dass sich hier grundlegend was ändert, denn sonst könnte Österreich den Zug in Richtung Wissensgesellschaft verpassen. Auf die neue Bildungsministerin kommt jedenfalls ein knochenharter Job zu.
Aus dem be INVESTOR Nr.93 vom 22.07.2016. Dort mit dem kompletten Ranking sowie Grafiken zur Verteilung des Social Progress entlang der Altersgruppen. Außerdem finden Sie im aktuellen be INVESTOR eine detailierte Auflistung des Österreich-Ergebnisses mit allen Stärken und Schwächen in den einzelnen Kategorien sowie einer Analyse Österreichs entlang der drei Unterkategorien Human Needs, Foundations of Wellbeing und Opportunity mit den jeweiligen Topperformern und Österreichs Platzierung.
Den be INVESTOR gibt es nur im Abo. Einen Überblick über die bisherigenAusgaben finden Sie hier: http://bit.ly/1fAzgCp
Ein ‘studiertes Arbeiterkind’ und das in Österreich, das ist - zumindest statistisch betrachtet - der dritte Ausreißer, den die neue Bildungsministerin für sich in Anspruch nehmen kann. „Wenn es nach aktuellen Bildungsstudien ginge, hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht maturiert, geschweige denn ein Studium abgeschlossen.“, formulierte sie selbst in einem Kommentar für die Presse im März dieses Jahres. Als Bildungsministerin wird sie einiges zu tun haben, um die verfahrene Situation in der österreichischen Bildungspolitik, die seit Jahren vom ideologisch untermauerten, politischen Ränkespiel der Parteien und machtpolitischen Ansprüchen der Landesfürsten geprägt ist, zu entwirren - doch dazu später.
Szenenwechsel. Österreich ist Top, was den sozialen Fortschritt - oder auch die Lebensqualität - betrifft. Zumindest behauptet das die Organisation The Social Progress Imperative, die alljährlich den Social Progress Index errechnet und publiziert. 147 Seiten umfasst der Bericht, der mit Hilfe von 53 Indikatoren die gesellschaftliche Entwicklung in 133 Ländern dieser Welt untersucht. In den Index fließen in erster Linie soziale und ökologischen Faktoren ein. Hintergrund für die komplex anmutende Berechnungsmethodik (allein das Dokument, das die Methodik erläutert umfasst, 41 Seiten) ist die Erkenntnis, dass die Höhe des Bruttoinlandsproduktes wenig über den tatsächlichen Zustand einer Gesellschaft aussagt. Josef Obergantschnig, CIO der Security KAG formuliert es in einem Blog so: „Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert und erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit unter den Volkswirten.“
It’s not (only) the money - stupid. Tatsächlich tun sich, bei einer Gegenüberstellung von BIP und Social Progress Index (SPI), in manchen Ländern erstaunliche Diskrepanzen zwischen der Höhe des BIP/Kopf und der Platzierung im SPI-Ranking auf (siehe dazu Tabelle 1.2 weiter hinten).
Beispiel Costa Rica: Das zentralamerikanische Land findet sich in einem Ranking, welches nur das BIP/Kopf unter den 133 untersuchten Nationen misst, auf Platz 51. Mit einem BIP/Kopf von 9120 US-Dollar liegt das Land mit seinen rund 4,9 Millionen Einwohnern weit hinter dem südamerikanischem Land Venezuela (BIP/Kopf: 12.794 - Platz 40). Zieht man allerdings den Social Progress Index als Maßstab heran, dreht sich das Verhältnis gewaltig. In dieser Wertung liegt Costa Rica nämlich unter den Top 30 der 133 untersuchten Nationen (Platz 29), während sich Venezuela mit Platz 81 begnügen muss. Costa Rica punktet etwa im Bereich „Access to Basic Knowledge“, in dem neben vier anderen Faktoren unter anderem die Alphabetisierungsrate in einem Land gemessen wird. Das mittelamerikanische Land erreicht bei dieser Kennziffer 96,67 Punkte und schneidet in diesem Fall sogar besser ab als Österreich (96,15 Punkte) - und die Alpenrepublik belegt immerhin einen Top-Platz in der Gesamtwertung.
Apropos Österreich: Während sich unser Land in zahlreichen anderen Wirtschaftsindex-Rankings nur mehr selten unter die Top 20 vorarbeiten kann, erreicht es beim Social Progress Index-Ranking immerhin Platz 13. Österreich führt damit die Liste jener 26 Länder an, denen die Studienautoren einen hohen „Social Progress“ bescheinigen. Angeführt wird das Gesamtranking übrigens von Finnland, vor Kanada und Dänemark. Diesen und weiteren neun Ländern wird in der Studie das Gütesiegel „Very high Social Progress“ verliehen.
Dringt man tiefer in die Studie ein und durchleuchtet das Österreich-Ergebnis in den drei Unterkategorien (siehe Infobox auf der nächsten Seite), so zeigt sich, dass unser Land nahezu perfekt aufgestellt ist, wenn es um die Befriedigung der grundsätzlichen menschlichen Bedürfnisse geht. Mit 95,67 von 100 möglichen Punkten liegt Österreich in der Kategorie ‘Basic Human Needs’ weltweit sogar auf Platz 6 (siehe Grafik 1.3). In punkto Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser bzw. sanitären Möglichkeiten (Kategorie Basic Human Needs - Water and Sanitation) ist unser Land sogar an erster Stelle zu finden (gemeinsam mit Zypern, Australien und Israel).
Allein, je weiter man in andere Bereiche vordringt, desto differenzierter - um nicht zu sagen schlechter - wird das Bild. Reicht es bei den grundsätzlichen Bedürfnissen für einen Platz unter den Top 10, so schafft es Österreich im Bereich Wohlergehen (Foundation of Wellbeing) nur mehr auf Platz 12. So richtig dick kommt es aber, wenn es um die Chancen und Möglichkeiten für den Einzelnen geht. Da fällt unser Land auf Platz 17 zurück. Einer der Gründe liegt dabei im schlechten Abschneiden beim Zugang zu höherer Bildung (Advanced Education - Platz 33). Entsprechend auch das Urteil der Studienautoren: „Underperforming“ lautet es.
Zeit, dass sich hier grundlegend was ändert, denn sonst könnte Österreich den Zug in Richtung Wissensgesellschaft verpassen. Auf die neue Bildungsministerin kommt jedenfalls ein knochenharter Job zu.
Aus dem be INVESTOR Nr.93 vom 22.07.2016. Dort mit dem kompletten Ranking sowie Grafiken zur Verteilung des Social Progress entlang der Altersgruppen. Außerdem finden Sie im aktuellen be INVESTOR eine detailierte Auflistung des Österreich-Ergebnisses mit allen Stärken und Schwächen in den einzelnen Kategorien sowie einer Analyse Österreichs entlang der drei Unterkategorien Human Needs, Foundations of Wellbeing und Opportunity mit den jeweiligen Topperformern und Österreichs Platzierung.
Den be INVESTOR gibt es nur im Abo. Einen Überblick über die bisherigenAusgaben finden Sie hier: http://bit.ly/1fAzgCp