Haas: Vier Fäuste und ein Halleluja?
In einer schwierigen Handelswoche (der ATX verlor im Wochenverlauf knapp 2,3%, der DAX sank um 2,1%) dominierte die Risikoaversion: Aktien wurden querbeet verkauft, die Gewinner waren Gold und deutsche Staatsanleihen, wo im 10 jährigen Bereich erstmals negative Renditen gezahlt wurden. Die große Frage, die man sich in so einer Situation als Investor stellt ist: Was tun? Um diese zu beantworten, ist es zuallererst wichtig, die Auslöser des Rückgangs zu kennen. Die teilweise panischen und kopflosen Reaktionen der Investoren hatten gleich mehrere Gründe:
Der wichtigste Faktor war mit Sicherheit die politischen Risiken in Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum. In einer hitzigen und gehässigen Debatte, die mit einem möglicherweise politisch motivierten Mord an einer britischen Pro-EU-Politikerin ihren traurigen Höhepunkt fand, scheinen die Austrittsbefürworter zunehmend an Fahrwasser zu gewinnen. Gleich mehrere Umfragen sahen die Brexit-Befürworter in Führung und auch die Wahrscheinlichkeiten der Buchmacher für einen Austritt von Großbritannien aus der EU schnellten innerhalb von kurzer Zeit von 20% auf über 40% hoch. Tatsächlich käme ein negativer Ausgang des Votums einem wirtschaftlichen Selbstmord gleich: Die Kosten wären laut beinahe allen seriösen Berechnungen enorm, nicht nur für Großbritannien sondern für die gesamte Eurozone (insbesondere Deutschland). Es wäre also falsch, diese Ängste grundsätzlich als Panikmache abzutun. Andererseits darf man nicht vergessen, dass auch im Vorfeld des Schottland-Referendums 2014 immer wieder Umfragen auftauchen, welche die Austrittsbefürworter in Führung gesehen hatten. Daneben darf man sich natürlich auch die Frage stellen, wie stark die Österreichische Post, der Verbund oder ein internationaler Gigant wie Nestlé wirklich von einem Brexit betroffen wären…
Der zweite wesentliche Treiber des Kursrückgangs dürfte für aufmerksame Leser nicht überraschend kommen: Rohstoffe im Allgemeinen und der Ölpreis im Speziellen. Über die Hürden, die sich bei einem Ölpreis über 50 US-Dollar/Barrel ergeben und die möglicherweise fehlgeleitete Euphorie im Markt haben wir bereits vor zwei Wochen exzessiv geschrieben. Mittlerweile dürften auch andere Investoren unserer Meinung sein, immerhin gab der Ölpreis seit unserem Bericht um über 6% nach. Dabei darf man aber nicht außer Acht lassen, dass es sich bei den Gründen für den Rückgang vor allem um angebotsseitige Veränderungen handelt: Der Rückkehr der Produktion in Kanada, ein Anstieg der Bohrtürme in den USA, keine OPEC-Förderquoten etc. Demnach sollten die Auswirkungen auf die Restwirtschaft eher begrenzt sein (im Gegensatz zu einem Rückgang aufgrund von geringerer Ölnachfrage, was auf eine abschwächende Wirtschaft deuten würde). Aber es ist wohl zu viel verlangt von einem Hedgefonds, der seinen Investmenthorizont in Nano- und Picosekunden (ein Billionstel einer Sekunde) angibt, diese Unterscheidungen zu treffen.
Der dritte Treiber ist ebenfalls ein alter Bekannter: die Politik der Notenbanken und die damit einhergehenden Erwartungen der Investoren. Hier lieferte die Fed diese Woche neuen Gesprächsstoff: Zwar wurde der Leitzins wie erwartet nicht verändert, der Ausblick für die weiteren Zinsschritte fiel jedoch deutlich vorsichtiger aus als ursprünglich gedacht. Hätten die Investoren dies in der Vergangenheit noch als positives Zeichen gesehen (immerhin war eine aggressive FED-Politik immer wieder als Damoklesschwert über den Märkten gehangen), wurde diesmal verstärkt der Fokus auf die Abschwächung der US-Konjunktur gelegt. Dieser Wandel von einer Win-Win- (wenn die Fed die Zinsen erhöht geht es der Wirtschaft gut genug, wenn sie es nicht tut sind Aktien ggü. Anleihen noch attraktiver) zu einer Lose-Lose-Mentalität ist jedoch eher ein Zeichen der allgemeinen Nervosität an den Märkten, sodass das berühmte Sentiment hier auch schnell wieder drehen könnte…
Der vierte Faktor sind Bewegungen bei den Währungen, die üblicherweise in Zusammenhang mit den anderen drei Themen (vor allem dem politischen Risiko und der Notenbankpolitik) zu sehen sind. Diese sind normalerweise ein Nullsummenspiel: Sinkt der Euro ggü. dem US-Dollar profitieren europäische Exporteure da ihre Güter für ausländische Käufer billiger werden, steigt er jedoch geht es in die umgekehrte Richtung.
Nachdem wir uns die Auslöser angesehen haben bleibt die Frage: Wie geht es weiter? Vor dem Referendum am Donnerstag wird es wohl trotz des tragischen Zwischenfalls in der nächsten Woche zu weiteren Spekulationen über den Ausgang kommen, die Volatilität dürfte also hoch bleiben. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass hier oftmals Ängste hochgepusht wurden, die sich dann bei näherer Betrachtung als unbegründet herausstellten. Auch beim Ölpreis ist die Hoffnung auf eine Stabilisierung zwischen 40 bis 45 US-Dollar/Barrel nicht unbegründet, immerhin würden dann wieder größere Teile der US-Produktion unrentabel werden, was den Anstieg bei den Bohrtürmen und damit die Produktionsausweitungen im Zaum halten könnte (auch wenn der Ölpreis, wie bereits oftmals angedeutet, derzeit nicht nur von fundamentalen Faktoren getrieben ist).
Auch bei den Faktoren drei und vier könnte in nächster Zeit wieder etwas mehr Ruhe einkehren, immerhin liegt das „böse“ FED-Meeting jetzt im Rückspiegel und auch die EZB dürfte in den nächsten Wochen wohl höchstens für ein paar Sommerlochfüller gut sein. Bleibt noch die Frage: Was kaufen und Wann? Hier kommt es sehr stark auf die ganz persönliche Risikoneigung an. Die Banken wären sicherlich kurzfristig die größten Gewinner einer Brexit-Ablehnung (auch wenn man hier über den langfristigen Wert mancher Firmen sicherlich geteilter Meinung sein kann). Die „sicherere“ Variante wären Titel, die auch im sehr unwahrscheinlichen Falle eines Austritts kaum betroffen wären wie Stromversorger, die Post oder sogar europäische Immobilienunternehmen. Beim Timing sollte man im Hinterkopf behalten, dass im Falle eines positiven Ausgangs des Votums die Börsen am Tag danach möglicherweise gleich mit größeren Zugewinnen starten könnten, sodass es im Nachhinein in einigen Titeln vielleicht sogar schon zu spät sein könnte. Wem die „Alles oder Nichts“-Variante vor der Wahl zu haarig ist, kann seine Zukäufe ja auch aufspalten: Ein bisschen vorm Donnerstag, ein bisschen nachher um einen noch immer attraktiven Mischkurs zu bekommen. Wichtig ist jedoch, jetzt nicht den Kopf in den Sand zu stecken getreu dem Motto „Panic is never a good strategy“!
Aktuelle Investmentstrategie. Wir verfügen in nahezu allen Produkten über eine erhöhte Cashquote, die wir in den vergangenen Wochen vor dem Hintergrund eines potentiellen „Brexit“-Szenarios aufgebaut haben. Es ist zu einer Korrektur vermeintlich risikoreicher Assets gekommen, was wir für nicht unwahrscheinlich erachtet haben. Dies hat uns –auf relativer Basis- geholfen. Mittel- bis langfristig gefallen uns jedoch nach wie vor Aktien prinzipiell eindeutig besser als Anleihen, wir glauben auch nicht an eine globale Rezession. Auf der Aktienseite sind wir – verglichen mit dem MSCI World – in Europa deutlich übergewichtet, in Nordamerika vergleichsweise weniger stark investiert. Japan erscheint uns nach wie vor durchaus spannend, in den Schwellenländern sind wir selektiv investiert. Anleihenseitig gefallen uns am ehesten noch flexible „Total Return“-Produkte, die sich auf dynamische Art und Weise verschiedensten Marktgegebenheiten anpassen können, sowie Wandelanleihen, die auch von einem positiven Aktienumfeld profitieren können. Zusätzlich sind wir etwas in in Inflation-linked Bonds investiert. In klassischen Staatsanleihen von Industrienationen sind wir hingegen deutlich untergewichtet, das Risk-/Returnprofil erscheint uns hier weiterhin nur bedingt attraktiv.