, boerse-express

"Kein Aufbrezeln, keine schicken Abendessen" - Piratensichtung manchmal inklusive

Bei diesen Hochseereisen gibt es kein Bankett in Abendgarderobe, keine Wasserrutschen und keine Kabarettaufführungen. Trotzdem stehen die Leute Schlange, um an Bord zu gelangen.

Passagen auf Frachtern ohne Schnickschnack, die teils Monate dauern können, gewinnen immer mehr Anhänger. Seit Jahrzehnten waren solche Seereisen die erste Wahl von Wandervögeln, die viel Zeit übrig hatten. Jetzt entdecken auch Rentner und junge Menschen ohne Arbeitsplatz solche spartanischen Trips für sich.

"Das Essen kann ziemlich gewöhnlich sein und man muss sich den Abläufen anpassen", erklärt der 72-jährige John McGuffick, ein pensionierter Landwirt aus dem Osten Australiens und mit zehn Ozean-Fahrten in Dutzende Häfen in Asien, Europa und Nordamerika ein Veteran solcher Reisen.

McGufficks persönlicher Langzeitrekord auf hoher See: 110 Tage pausenlos auf dem Meer von Dünkirchen in Nordfrankreich bis nach Singapur.

"Ich mag das Alleinsein", sagt er. "Ich lese Bücher, für die ich daheim keine Zeit finde."

Reedereien stehen unter Druck, jeden Dollar aus ihren Flotten herauszuquetschen. Im Zuge der sich abkühlenden Weltwirtschaft sind die Frachtraten so weit gesunken, dass die Beförderung einer Person von Schanghai nach Rotterdam ihnen mindestens zehn Mal mehr Umsatz einbringt als ein gut 6 Meter langer Container voller flach verpackter Möbel, wie Daten von Bloomberg zeigen.

Etwa 100 Euro pro Tag kosten ein Bett und drei Mahlzeiten auf einigen der größten Schiffe, die jemals gebaut wurden. Die Handvoll zahlender Passagiere -- in der Regel nicht mehr als ein Dutzend pro Fahrt -- erlebt hautnah das Geschehen auf den Arbeitspferden der Weltwirtschaft, auf denen etwa 90 Prozent des Welthandels befördert werden.

Keine Mojitos

Die Gäste speisen mit der Besatzung, können sich auf dem Schiff weitgehend frei bewegen und mit dem Kapitän auf der Brücke oder dem Schiffsingenieur unter Deck ein Schwätzchen halten. Auf eine komplett ausgestattete Bar, täglichen Reinigungsdienst und Wäscheservice muss jedoch verzichtet werden.

Normalerweise gibt es ein bescheidenes Angebot alkoholischer Getränke, deren Bezahlung auf Vertrauensbasis erfolgt. Die Kabinen werden wöchentlich gereinigt und die Passagiere müssen ihre eigene Wäsche waschen. Der Internetzugang ist begrenzt, aber Tischtennis, Dartscheibe und eine Auswahl an CDs, DVDs und Büchern in mehreren Sprachen helfen beim Zeitvertreib.

Trotz dürftigen Komforts übersteige die Nachfrage seitens der unabhängigen Reisenden das Angebot der Reeder, erklärt Julie Richards, die seit zwei Jahrzehnten bei Freighter Expeditions in Sydney 200 bis 300 Trips pro Jahr arrangiert. Daher müssten Passagiere auf den beliebtesten Routen zwischen China und Europa Monate im Voraus buchen.

"Ich bekomme zehn bis zwanzig E-Mails pro Tag und drei Vierteln kann ich nicht weiterhelfen", sagt Richards und verweist auf den Mangel an Passagier-fähigen Frachtern. "Es handelt sich um Personen, die entweder noch nicht ins Berufsleben eingetreten oder im Ruhestand sind."

Was macht die Anziehungskraft aus?

‘Kein Aufbrezeln’

"Kein Aufbrezeln, keine schicken Abendessen", meint Richards. "Das ist etwas für Reisende, die für sich selbst sorgen können. Ich komme oft an Menschen, die ihre Memoiren verfassen wollen. Sie nehmen ihr Laptop mit und schreiben einfach drauf los."

Und es gibt noch andere Vorzüge. Die Mitreisenden seien wahrscheinlich faszinierende und abenteuerlustige Seelen, sagt die freiberufliche Reisejournalistin Fiona Harper. Sie ging beim Containerschiff Trinity Bay in Cairns im Nordosten Australiens an Bord und verbrachte dort fünf Nächte auf einer Seereise nach Kap York, der nördlichsten Spitze des Landes.

"Sie sind weit gereist und auf der Suche nach etwas Andersartigem, und sie sind wahrscheinlich selber etwas andersartig", sagt Harper. "Man wird nicht wie eine Prinzessin behandelt -- so wie das auf einer Sechs-Sterne-Kreuzfahrt sein dürfte."

Der globale Handel expandiert nur etwa halb so stark wie im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre. Im September verringerte die Welthandelsorganisation ihre Prognose für das Wachstum in diesem Jahr auf 2,8 Prozent, während sich die chinesische Volkswirtschaft abschwächt. Das ist eine schlechte Nachricht für die weltweite Flotte aus 50.000 Handelsschiffen, die die meisten der gehandelten Güter rund um die Welt transportieren.

Es ist allerdings eine gute Nachricht für Reisende. Denn für die Frachter ist es sinnvoll, leere Kabinen mit zahlenden Passagieren zu füllen.

"Ihre Vermietung lohnt sich, insbesondere in Zeiten niedriger Charter- und Frachtsätze", sagt Ilka Bültmann, Leiterin des Bereichs Frachtschiffreise/Passagen der Rickmers Group, die Passagiere auf sieben Vielzweckschiffen willkommen heißt.

Meeresräuber

Seefahrten werden auf Containerschiffen, Massengutschiffen und Autotransportschiffen angeboten, normalerweise aber nicht auf Tankern. Voll beladen mit Mineralölprodukten sind diese Schiffe langsam und mit Tiefgang unterwegs, was sie zu einer leichteren Beute für Piraten mit ihren kleinen und wendigen Booten werden lässt. Doch auch für andere Schiffe sind die Piraten weltweit eine Bedrohung. Eine Reederei stoppte Touren zwischen dem italienischen Hafen in Genua und Singapur wegen des Risikos einer Attacke im Golf von Aden, dem Wasserweg zwischen Jemen und Somalia.

Passagiere müssen sich McGuffick zufolge auch auf außerplanmäßige Abstecher einstellen, um Waren wie getrocknete Kokosnuss-Schalen oder Stahlkabel abzuholen. Und Richards von Freighter Expeditions weist darauf hin, dass die Sicht aus den Bullaugen der Kabinen auch mal gerne von Containern versperrt sind. "Es ist ein Arbeitsschiff, dass müssen sich die Leute klar machen", erklärt sie.

Doch von all dem muss man sich nicht abschrecken lassen. "Es ist eine nette, sichere Art zu reisen", fügt Richards hinzu.

Die Hamburg Süd-Gruppe bietet Kojen auf Eisenerzschiffen an, die von Brasilien nach Europa fahren. Bei der CMA CGM Group, der weltweit drittgrößte Containerschiffahrtslinie, gibt es Plätze auf einigen der größten Frachter auf See. Die Schiffe, die größer als vier Fußballfelder sind, pendeln zwischen Schanghai und dem Ostchinesischen Meer.

Bratwurst mit Sauerkraut

Bei Frachtschiffreisen gibt es nicht die Extras der "Quantum of the Seas" von Royal Caribbean Cruises Ltd. mit Kabinenplätzen für 4905 Gäste auf mehr als 18 Decks, wie beispielsweise Fallschirmspringen, Autoscooter und Räume mit virtuellen Balkons sowie 18 Speisemöglichkeiten. Doch schlecht haben es die Passagiere auf Frachtern nun auch nicht.

Ein typischer Tagessatz kann Pfannkuchen und Arme Ritter zum Frühstück beinhalten, Hähnchen-Curry oder Rinderfilet zu Mittag und Bratwurst mit Sauerkraut und frittierte Hähnchenflügel zum Abendessen, wie der Reisevermittler Cruise People Ltd. in London mitteilt.

In Australien spult McGuffick derweil eine Liste von Häfen von der Ostsee bis zum Pazifik herunter, die er schon auf seinen tausende Seemeilen weiten Frachtschiffreisen besucht hat.

"Ich will die Welt auf günstigem Weg bereisen", sagt er.