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USA: Wenn die Regierung dicht macht, droht ein Crash an der Wall Street

Während sich die US-Aktienbörsen - nicht zuletzt dank der Federal Reserve - im Höhenflug befinden, lauert in einer anderen Ecke von Washington ein zunehmendes Risiko: eine Haushaltskrise. Denn kurz vor Beginn des neuen Haushaltsjahrs verhärten sich bereits die Positionen über das Budget und die Schuldenobergrenze in den USA.

Politische Rückschläge für Präsident Barack Obama und die republikanischen Kongressführer im Vorfeld der Kraftprobe erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung wegen Geldmangels schließen muss, zahlungsunfähig wird oder es zumindest beinahe zu einer Pleite kommt. Und das droht Turbulenzen an den Aktienmärkten auszulösen. “Wir stehen vor einer weiteren grässlichen Konfrontation”, sagt Howard Ward, Chief Investment Officer für Wachstumsaktien bei Gamco Investors Inc. in Rye im US-Bundesstaat New York. “Obwohl jeder weiß, dass die Pattsituation nicht lange anhalten wird, ist es doch eine traurige Erinnerung daran, wie funktionsgestört Washington geworden ist. Nach der jüngsten Rally wird das Gewinnmitnahmen auslösen.” In einer Umfrage von Bloomberg vom 10. September sagten 40 Prozent der weltweit befragten Anleger, dass sie sich aus den US-Märkten zurückziehen würden, falls die Regierung dicht machen muss. Das wäre allerdings weniger schädlich als ein Zahlungsausfall, sagen viele Ökonomen. “Dies ist derzeit ein schummerndes Problem, das aber tatsächlich in den Vordergrund rücken könnte”, meint Chris Rupkey, leitender Finanzökonom bei Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ in New York. “Es gibt das Risiko, dass es innerhalb von zwei bis zwei Tagen zu einem Ausverkauf am Aktienmarkt in der Größenordnung von tausend Punkten kommt.” Sollte sich das Kräftemessen im Haushaltsstreit länger hinziehen, könnte die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal um einen vollen Prozentpunkt geschmälert werden, prognostiziert Rupkey. Das gelte auch dann, wenn ein Regierungsstillstand oder ein Zahlungsausfall dabei letztendlich verhindert würden. Aber nicht alle Analysten erwarten, dass eine langwierige Pattsituation viel Schaden anrichten wird. Chris Hyzy, Chief Investment Officer bei U.S. Trust in New York, rechnet an den Börsen mit “kleinen Wellen oder Bodenschwellen, aber nicht mit beträchtlichen, gigantischen Schlaglöchern”. Seiner Einschätzung nach wird der S&P 500 während eines langen Haushaltskampfes “drei bis vier Prozent, maximal fünf Prozent” fallen. Im US-Haushaltsstreit fordern die Republikaner als Gegenleistung für ihre Zustimmung zu temporären Maßnahmen, um die Regierung am Laufen zu halten, dass die Mittel für Obamas Gesundheitsreform zusammengestrichen werden. Die Demokraten weisen das zurück. Obama sagte, er wolle an die Republikaner keine Zugeständnisse machen, um die Schuldengrenze anzuheben. Allerdings gehen beide Seiten geschwächt in die Machtprobe. Obamas Rückendeckung bei den Demokraten hat abgenommen, angesichts der Zweifel im eigenen Lager an einem Militärschlag gegen Syrien und der möglichen Nominierung von Lawrence Summers als potenziellem Chef der US-Notenbank. Die Republikaner leiden indes unter einem schlechten Image in der Öffentlichkeit infolge ideologischer Konflikte in den eigenen Reihen. Sollten sich die beiden Parteien nicht einigen können, müsste die Regierung Anfang Oktober ihre Arbeit einstellen. In den Blick der Finanzmärkte würde dann eine noch schwerwiegendere Krise rücken, die nur wenige Wochen entfernt wäre: das Erreichen der Schuldenobergrenze und die drohende Zahlungsunfähigkeit ab Mitte bis Ende Oktober. Abwenden ließe sich das nur durch eine Anhebung des Schuldenlimits.

“Eine Betriebseinstellung bei der Regierung wäre schwerwiegend, aber nichts im Vergleich zu dem was passiert, wenn die Schuldengrenze nicht angehoben wird”, warnt Chris Krueger, ein Washingtoner Analyst von Guggenheim Securities LLC. Das letzte Mal, als es 2011 zu einem Patt zwischen Obama und dem Kongress über eine Erhöhung des Schuldenlimits kam, hatte Standard & Poor’s den USA die Spitzenbonitätsnote “AAA” aberkannt. Der S&P 500 Index fiel zwischen dem 22. Juli, als die Verhandlungen zusammenbrachen, bis zum 8. August, dem ersten Handelstag nach der S&P-Abstufung, um 16,8 Prozent. Bis zum Jahresende erholte sich der Index wieder um rund zwölf Prozent. Bislang hat die Aussicht auf eine neue Haushaltskrise die Märkte kaum beeinflusst. Getrieben von der Entscheidung der Federal Reserve, ihre Bondkäufe nicht zu verringern, hatte der S&P 500 vergangene Woche ein Allzeithoch erreicht. Seit Jahresbeginn bis zum 20. September hat der Index 20 Prozent angezogen und läuft damit auf den besten Jahreszuwachs in vier Jahren zu.

Fed-Chairman Ben S. Bernanke verwies am 18. September nach dem FOMC-Entscheid auf die Gefahren für die Realwirtschaft, wenn es erneut zu einem ausgedehnten Haushaltsstreit kommen sollte. Dies sei einer der Gründe gewesen, warum die Fed von einer Reduzierung ihrer Anleihekäufe abgesehen habe, sagte er. Das Wachstum der US-Wirtschaft wird sich laut einer Bloomberg-Umfrage im dritten Quartal ohnehin schon auf zwei Prozent auf Jahresbasis abkühlen, nach plus 2,5 Prozent im zweiten Jahresviertel. Rupkey zufolge droht der Haushaltsstreit das Geschäftsklima zu vergiften und das Vertrauen von Anlegern und Verbrauchern zu untergraben. “Ich befürchte, dass die Wirtschaft eine Pause einlegen wird, während wir darauf warten, dass sich die Wolken der Unsicherheit verziehen”, sagt der Ökonom von Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ. “Wenn man jeden Abend den Fernseher anschaltet und auf beiden Seiten die wütenden Schlagabtausche mitbekommt, sorgt das für Unsicherheit.”