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Staudner: Einschätzung zu den volkswirtschaftlichen Aussichten

Turbulenzen, aber Aufschwung intakt Die letzten Monate waren für die Finanzmärkte durchwegs turbulent: Politische Umwälzungen in Nordafrika, die Katastrophe in Japan, die Schuldenkrise in Euroland mit den ständigen Debatten um Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, ein negativer Ratingausblick für amerikanische Staatsanleihen, eine EZB, die doch etwas überraschend die Zinswende einläutete, der Anstieg der Rohstoffpreise und anziehende Inflationsdaten prägten die Nachrichtenlage. Angesichts dieses Bündels an belastenden Faktoren ist es fast verwunderlich, dass die Konjunkturdaten bislang relativ gut ausfielen. Man sollte annehmen, dass solche Ereignisse mehr als Nadelstiche für die Weltwirtschaft darstellen. Doch nichts dergleichen war bislang der Fall. Dementsprechend sind die Schätzungen der Konjunkturbeobachter für die Weltwirtschaft mit einem Wachstum von gut 4 % für 2011 und 2012 in etwa gleich geblieben. Für das 1. Quartal haben die meisten Länder des Euroraums erfreuliche Zahlen berichtet, wogegen die amerikanische Wirtschaft leicht enttäuschte. In den letzten Wochen haben sich allerdings in vielen Ländern – allen voran in den Vereinigten Staaten – die Frühindikatoren etwas eingetrübt. Der Mai brachte für den Welteinkaufsmanagerindex den dritten Rückgang in Folge. Es deutet sich ein klassischer „Mid-Cycle-Slowdown“ an.

Delle, aber keine Konjunkturwende Die geballte Ladung an negativen Einflussfaktoren ist zwar für eine Verlangsamung des Wachstumstempos verantwortlich, begründet aber noch keine Konjunkturwende: Die japanische Katastrophe trifft eine große, aber auch relativ geschlossene Volkswirtschaft. Die aufgrund der Lieferkettenausfälle hervor-gerufenen Probleme im Bereich der globalen Auto- und Elektronikindustrie könnten allerdings auch in den nächsten Wochen noch belastend wirken. Die bisherige Verteuerung von Rohöl scheint verkraftbar und der aktuelle Preisrückgang zeigt den temporären Charakter. Die Notenbanken der Industrieländer gehen nach wie vor von nur vorübergehendem Inflationsdruck aus, sodass weiter eine relativ expansive Geldpolitik angebracht ist. Die Diskussion um die Kreditwürdigkeit der Industriestaaten ist zwar ziemlich beängstigend, aber für die wichtigen Länder haben die Kapitalmärkte bisher lediglich Warnschüsse abgegeben und die Finanzpolitik hat noch die Möglichkeit rechtzeitig gegenzusteuern.

USA zeigt Schwäche Die konjunkturellen Zweifel betreffen vor allem die USA. Das schwache US-Wirtschaftswachstum im 1. Quartal von nur 1,8 % ist jedoch auf Sonderfaktoren wie einen ungewöhnlich harten Winter zurück-zuführen. Anfang des 2. Quartals haben sich dann die Auswirkungen der japanischen Katastrophe auf die Autoindustrie gezeigt, wo ein Mangel an Zulieferteilen einen massiven Produktionseinbruch auslöste. Der ISM-Einkaufsmanagerindex ist entsprechend deutlich eingeknickt, signalisiert aber mit einem Stand von 53,5 im Mai für das verarbeitende Gewerbe weiter positives Wirtschaftswachstum. Allerdings scheint die bislang euphorische Stimmung der Unternehmen nun zu weichen und einer realistischeren Einschätzung Platz zu machen. Die USA befindet sich insgesamt aber weiter auf einem guten Weg aus der Krise, wobei nach einem kräftigen Anstieg nun eine moderatere Wachstumsphase folgt. Es werden nur noch wenige Bankenpleiten gemeldet und die Kreditvergabe bessert sich. Die Lage am US-Immobilienmarkt hellte sich im Mai nach zuvor schwachen Daten auch endlich wieder auf. Die Baugenehmigungen stiegen um 8,7 %. Die Lage am Arbeitsmarkt stabilisiert sich. Der leichte Anstieg der Arbeitslosenrate auf 9,1 % im Mai ist nicht Besorgnis erregend. Die Probleme der Autoindustrie trugen ihren Teil dazu bei und die Sparanstrengungen der Regierung führen zu einem Stellenabbau bei Staats-unternehmen. Insgesamt lässt sich also ein Großteil der Abkühlung durch die kumulierten Effekte der Japankatastrophe, der hohen Öl- bzw. Benzinpreise sowie der staatlichen Sparprogramme erklären. Das Verbrauchervertrauen scheint derzeit allerdings angeschlagen zu sein.

Temporärer Inflationsanstieg Das Konsumklima ist nach wie vor anfällig für negative Botschaften, insbesondere steigende Benzinpreise sowie hohe Inflationszahlen wirken dämpfend. Im Mai ist die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 % gestiegen, was den stärksten Anstieg seit Oktober 2008 darstellt. Die US-Notenbank beurteilt jedoch die ursächlichen Anstiege der Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise als temporär. Es ist zu erwarten, dass mit dem Auslaufen des Preisanstiegs bei Benzin und Nahrungs-mitteln basisbedingt die Inflation gegen Jahresende sinkt und 2012 wieder unter der 3 %-Marke notiert. Der kräftige Anstieg der Preise von Bekleidungsartikeln im Mai wurde durch gestiegene Baumwollpreise und höhere Löhne in Emerging-Markets-Ländern verursacht. Der Anstieg bei Gebrauchtwagen-preisen ist eine Folge der Lieferengpässe durch die japanische Katastrophe und damit ein Sondereffekt. Die Kerninflation dürfte von derzeit 1,5 % langsam auf ein Niveau von gut 2 % klettern und bewegt sich damit noch in einem normalen Bereich.

Euroland: Wachstum moderater Die Einkaufsmanagerindizes in Europa haben sich zuletzt ebenfalls abgeschwächt, jedoch liegt das Wachstumstempo immer noch über den ursprünglichen Erwartungen. Die Konjunktur in den ersten Monaten 2011 lief prächtig, wobei Deutschland weiter die wesentliche Triebkraft war. Die Frühindikatoren zeigen nun auch in den dynamischen Kernländern der Eurozone eine moderatere Wachstumsentwicklung. Im Juni dürften sich die Einkaufsmanagerindizes im verarbeitenden Gewerbe und auch im Dienstleistungssektor verschlechtert haben und auch die Erwartungskomponente des deutschen IFO-Geschäftsklimaindex wird sich weiter eintrüben – allerdings auf hohem Niveau. Die besten Zeiten der Konjunkturlokomotive Deutschland sind damit zwar vorbei, aber das konjunkturelle Umfeld für Deutschland bleibt intakt, da die Weltwirtschaft nach wie vor dynamisch wächst, auch wenn sie etwas an Schwung verloren hat. Anders sieht das Bild in den Peripherieländern aus. Das Wachstumsgefälle weitet sich aus. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen und die noch immer nicht abgeschlossene Korrektur an einigen Immobilienmärkten lässt in den Peripherieländern bestenfalls ein geringes Wachstum zu. In Griechenland und Portugal ist aufgrund der drastischen Einsparungen 2011 ein Schrumpfen der Wirtschaft zu erwarten. Die Staatsschuldenkrise mutiert mittlerweile mehr und mehr zum Dauerthema. Griechenland, Irland und Portugal hängen am Tropf und sind auf fremde Hilfe angewiesen. Der Übergang in Richtung Transferunion scheint unumgänglich.

Eurolandinflation über Zielrate Die Euroland-Inflationsrate ist im Mai erstmals wieder von 2,8 % auf 2,7 % gesunken, die Kerninflation ging ebenfalls auf 1,5 % zurück. Ein breit angelegter Inflationsdruck ist nach wie vor nicht zu erkennen. Für die Teuerung sind hauptsächlich die gestiegenen Rohstoffpreise im Bereich Kraftstoffe, Heizöl, Energie verantwortlich, auch die Anstiege im Nahrungsmittelbereich belasten. Trotz erwarteter Basiseffekte ist ein schneller Rückgang nicht zu erwarten. Die Inflationsrate dürfte auch in den kommenden Monaten über 2,5 % verharren, weshalb die EZB wachsam bleiben wird.

Japan: Erholung im 2. Halbjahr Die Folgen der schweren Naturkatastrophe haben die japanische Wirtschaft im 1. und 2. Quartal schwer belastet. Vor allem die vorübergehenden Stromabschaltungen hatten Unterbrechungen der Produktionskette und weitreichende Produktionsausfälle zur Folge. Es gibt allerdings vermehrt Anzeichen, dass die Produktion rascher als erwartet wieder an Schwung aufnehmen könnte, da die japanische Industrie mittlerweile die einschränkenden Bedingungen besser in den Griff zu bekommen scheint. Die Autobauer kündigen beispielsweise an, im Sommer ihre Produktionskapazitäten wieder auf 90 % des Vorkrisenniveaus hochfahren zu wollen. Die Wachstumsschätzungen für Japan wurden nach heftigen Herabstufungen zuletzt wieder nach oben korrigiert. Im 2. Halbjahr sollten der Wiederaufbau und Nachholeffekte bei Produktion und Konsum das Wachstum stützen und in eine positive Zone führen. Die Inflationsrate pendelt um die Null-Linie und die Bank of Japan wird wegen der Abwärtsrisiken der Wirtschaft ihren expansiven Kurs voraussichtlich noch längere Zeit beibehalten.

Emerging Markets auf Wachstumskurs Die Volkswirtschaften der Emerging Markets befinden sich weiterhin auf Wachstumskurs. Die Emerging Markets und insbesondere China tragen weiter mehr als 50 % zum Weltwirtschaftswachstum bei, wenngleich auch in diesen Ländern mittlerweile eine leichte Eintrübung der Einkaufsmanagerindizes sichtbar ist. Vor allem das Expansionstempo in China ist immer noch hoch, wie das BIP-Wachstum im 1. Quartal von annualisiert 8,4 % verdeutlicht. Die Industrieproduktion wuchs im Mai gegenüber dem Vorjahr um 13,3 % und die Einzelhandelsumsätze nahmen um 16,9 % zu. Die Inflationsrate lag im Mai allerdings bei 5,5 % und die Teuerung im Lebensmitte-bereich sogar bei 11,7 %. Der Inflationsdruck ist somit nach wie vor gegeben, weshalb weitere Zinsanhebungen der People’s Bank of China zu erwarten sind. Auch Indien wuchs im 1. Quartal mit einer Rate von 7,8 % immer noch kräftig. Der Inflationsdruck ist hier ebenfalls die Hauptsorge der Notenbank. Prinzipiell sind die Emerging Markets durch den Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisanstieg aufgrund der Zusammensetzung ihres Warenkorbes viel stärker betroffen als die Industrieländer. Der Anstieg der Rohstoffpreise treibt zwar auf der einen Seite die Inflation in die Höhe, viele rohstoffexportierende Schwellenländer profitieren aber auf der anderen Seite auch stark davon. Mit einem Mix aus höheren Leitzinsen, strengeren Mindestreserveanforderungen und einer Aufwertung ihrer Währungen wollen die Emerging Markets einen starken Anstieg der Inflationserwartungen verhindern, ohne gleichzeitig das Wirtschaftswachstum zu stark zu bremsen . Neue Leitwährungen in Sicht? Angesichts des massiven Verlusts an Vertrauen in den US-Dollar sowie der anhaltenden Probleme in der Euro-Zone ist längerfristig durchaus mit einer höheren Bedeutung der aufstrebenden Emerging-Markets-Währungen zu rechnen. Dies hätte zur Folge, dass die Schwellenländer eine Aufwertung ihrer eigenen Währungen als Preis für eine unabhängige, nationale Geldpolitik in Kauf nehmen müssten. Die Aufwertung ihrer eigenen Währungen wiederum würde auch den nötigen Übergang dieser Volkswirtschaften von einem auf Exporten basierenden Wachstumsmodell hin zu einem Wachstumsmodell, das auf Binnennachfrage aufbaut, unterstützen.