Brezinschek: Griechenland – Damoklesschwert über den Finanzmärkten
- Hohe Wachstumsunterschiede in Eurozone 2011, BIP-Durchschnitt bei 2 Prozent
- Griechische Schuldenkrise als Bewährungsprobe für die Eurozone
- Vorübergehend Konjunktur- und Unternehmenszahlen wieder wichtiger
- Euro profitiert von EZB-Zinserhöhungen
- Asset Allocation: Günstige Bewertungen und positive Ertragsaussichten der Konzerne begründen Höhergewichtung von Aktien auf "neutral"
„Von nun an sollten die dramatischen Auswirkungen, die Griechenland auf das europaweite Wirtschaftsgeschehen hatte, abnehmen“, prognostiziert Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International AG (RBI). Obwohl überschattet von der Entwicklung der griechischen Schuldentragödie, erlebten sowohl die Eurozone als auch die Emerging Markets in der ersten Jahreshälfte 2011 eine starke Wachstumsphase – lediglich die USA enttäuschten. „Im Verlauf des zweiten Halbjahres erwarten wir einen spiegelverkehrten Effekt. Die Konjunktur- und Unternehmenszahlen sollten, nachdem das Drama um Griechenland in den Hintergrund rückt, wieder mehr Beachtung finden. Die Zuspitzung der griechischen Schuldenkrise hängt aber leider als ständiges Damoklesschwert über den Finanzmärkten“, erklärt der Research-Experte.
Helge Rechberger, Leiter der Aktienmarktanalyse, erwartet, dass die Erleichterung über das Überleben Griechenlands gepaart mit den zu veröffentlichenden Quartalsergebnissen für das zweite Quartal, eine Unterstützung für riskantere Asset-Kategorien liefern sollte: „Da die Gewinnaussichten noch immer überdurchschnittlich und die Bewertungen günstig sind, sollten die ermäßigten Kurse Kaufanreiz sowohl bei Aktien als auch bei Unternehmensanleihen sein.“ Er geht auch davon aus, dass sich im Verlauf des dritten Quartals ein Ende der langen Underperformance der Wachstumsmärkte abzeichnen könnte. Rechberger favorisiert Sektoren wie IT, Energie, defensiver Konsum, Grundstoffe, Industrie und Finanz.
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Abkühlen der Konjunktur im Euroraum
Nach dem guten Start ins Jahr 2011 erwarten die Analysten von Raiffeisen Research für die Eurozone eine Abnahme der Dynamik in der zweiten Jahreshälfte. Im Gesamtjahr 2011 sollte sich für die Eurozone insgesamt aber ein Wachstum von 2 Prozent ausgehen. Wie schon im Vorjahr ist dieser Durchschnitt Ergebnis extremer BIP-Unterschiede. Einerseits hat die Kerneurozone mit Ländern wie Deutschland und Österreich den drastischen Wachstumseinbruch 2009 schon wieder wettgemacht: „Wir gehen für 2011 von einem Wachstum von 3,3 Prozent für Österreich und von sogar 3,6 Prozent für Deutschland aus“, erklärt Brezinschek. „Andererseits verbleiben Portugal und Griechenland noch in tiefer Rezession, wobei Griechenland mit über 3 Prozent Schrumpfung des BIP den Tiefpunkt markiert.“
In 2012 sollte es aber zu einer etwas homogeneren Konjunkturentwicklung kommen, wobei die Bewältigung der Staatsschuldenkrise und Strukturverbesserungen dafür mitverantwortlich sein werden. Allerdings kann insbesondere die Durchsetzung der hierfür notwendigen Maßnahmen auf Jahressicht immer wieder für Turbulenzen sorgen. „Vor allem im Frühjahr 2012, wenn Defizit- und Verschuldungszahlen sowie neue Budgetpläne veröffentlicht werden, könnte dieses Thema wieder ganz oben auf der Liste der Finanzmarktteilnehmer stehen“, erwartet Brezinschek.
Schuldenkrise in Griechenland als Bewährungsprobe für die Eurozone
In den vergangenen Wochen hat sich die griechische Schuldenkrise weiter zugespitzt. Die schwer abschätzbaren Folgen eines Schuldenschnitts Griechenlands erklären auch die konsequente Ablehnung einer unfreiwilligen Restrukturierung durch die EZB und sprechen nach Ansicht der Analysten dafür, dass Griechenland mittelfristig weiter mit der finanziellen Unterstützung der Euro-Partner rechnen kann. „Voraussetzung dafür ist allerdings die Verabschiedung weiterer Reformgesetze und die Forcierung des Privatisierungsprogramms durch die griechische Regierung, womit aber bereits der Hauptrisikofaktor für unser Szenario identifiziert ist. Die Möglichkeit, dass die Auszahlung der EU/IWF-Hilfen aufgrund des mangelnden Reformwillens Griechenlands frühzeitig scheitert und das Land seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommt, stellt ein nicht vernachlässigbares Risiko dar“, erklärt Brezinschek. Mit der Finanzspritze von EU/IWF und dem neuen Augenmerk Griechenlands auf Struktur- und Wachstumsaspekte sollte im zweiten Halbjahr eine temporäre Entspannung der Lage eintreten. Langfristig erwartet der Experte eine Umschuldung der griechischen Staatsschuld. „Diese macht erst Sinn, wenn Griechenland einen Budgetüberschuss – ohne Zinszahlungen – erwirtschaftet“, so der RBI-Chefvolkswirt.
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USA: höheres BIP-Wachstum erst wieder ab dem zweiten Halbjahr
„Wie schon in unseren letzten Prognosen erwartet, hat der kräftige Anstieg der Kraftstoffpreise zwischen März und Mai den privaten Konsum in den USA im zweiten Quartal regelrecht abgewürgt“, analysiert Brezinschek. Unter Annahme eines besseren Arbeitsmarkts prognostizieren die RBI-Analysten aber im zweiten Halbjahr wieder höheres BIP-Wachstum in den USA, wodurch sich für das Gesamtjahr 2011 ein Wachstum von 2,7 Prozent ausgehen sollte.
Inflationshoch bald erreicht, weitere EZB-Zinsanhebungen
Die Inflationsrate im Euroraum befand sich im Mai mit 2,7 Prozent p.a. deutlich über der von der EZB angestrebten Marke von knapp unter 2 Prozent p.a. Brezinschek rechnet aber damit, dass das Inflationshoch noch bevorsteht und die Teuerungsrate im Juli über 3 Prozent p.a klettern könnte. „Allerdings ist dafür kein breiter Preisauftrieb quer über alle Güter und Dienstleistungen verantwortlich, vielmehr ist die erhöhte Teuerung durch steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise dominiert. Wir erwarten eine Entspannung bei den Inflationsraten in der zweiten Jahreshälfte“, so Brezinschek.
Da die Teuerung ihre Spitze erst in den Sommermonaten erreichen dürfte, rechnet Brezinschek schon im Juli mit einer nächsten EZB-Zinsanhebung auf 1,5 Prozent. Zielwert dieser ersten Anhebungsphase dürfte die 2 Prozent-Marke sein.
In Bezug auf die US-Notenbank (Fed) erwartet Brezinschek eine Verschiebung von Zinserhöhungen auf 2012, getrieben von Sorgen der Fed in Bezug auf die Wachstumsschwäche der USA.
EUR/USD: Niveaus von 1,50 kurzzeitig möglich
Die Vermeidung eines griechischen Schuldenkollapses und die unterschiedliche Haltung von EZB und US-Fed in Bezug auf die Leitzinsen sollten auch dem Euro zugute kommen. „Niveaus für einen EUR/USD-Kurs von bis zu 1,50 sind kurzzeitig möglich“, prognostiziert Brezinschek.
Die Entwicklung des Schweizer Franken zum Euro sehen die Analysten jedoch etwas differenzierter: So soll ein Absturz in Richtung 1,10 nach Stopfen der griechischen Finanzlöcher erspart bleiben, das Vorsichtsmotiv lässt im zweiten Halbjahr aber nur eine zögerliche Tendenz zwischen 1,20 und 1,25 für den EUR/CHF-Kurs erwarten.
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Staatsanleihen: Leicht steigende Renditen im 3. Quartal
Die Experten von Raiffeisen Research gehen davon aus, dass der Versuch einer Beruhigung der Schuldenkrise und die US-BIP-Aussichten den langfristigen Staatsanleihen beiderseits des Atlantiks ihre Funktion als „sicherer Hafen“ nehmen könnten. „Daraus würden sich für das dritte Quartal leicht steigende Renditen ohne markante Verringerung der Renditeunterschiede innerhalb der Eurozone ergeben“, so Brezinschek. Seine Empfehlung lautet daher: „Wer nicht mit einem unmittelbaren Ausfall Griechenlands oder einem Abgleiten der US-Wirtschaft zumindest nahe an eine neue Rezession rechnet, sollte auf den aktuellen Kursniveaus vor allem längere Laufzeiten meiden. Weitere Leitzinsanhebungen der EZB dürften aber auch die kurzen Laufzeiten in Deutschland unter Druck bringen und für eine Abflachung der Renditekurve sorgen.“
Aktien- und Credit-Märkte: Kaufempfehlung für Unternehmensanleihen und ausgesuchte Aktienmärkte
Die Aktienmärkte der Eurozone stehen zurzeit ganz im Banne der griechischen Schuldenproblematik. Rechberger geht davon aus, dass in den kommenden Wochen noch viel davon abhängen wird, ob die griechische Regierung auch die nächsten Hürden meistert. Das Überstehen der Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament sieht der Analyst nur als Etappenerfolg, der keinen Anlass für übermäßigen Optimismus geben soll. „Obwohl wir sowohl den Gewinntrend bei den Unternehmen als auch die Bewertungen als positiv einstufen, bleiben wir hinsichtlich der Entwicklung der Aktienmärkte der Eurozone in den kommenden Monaten vorsichtig“, so Rechberger.
Der Experte empfiehlt ein „Halten“ von US-Aktien: „Die Welt scheint im Moment voll von Stolpersteinen für ein Vorankommen der Aktienmärkte zu sein. Dennoch befinden sich viele der wichtigsten Aktien-Indizes über ihren Niveaus vom Jahresanfang. Mit einem positiveren Nachrichtenfluss in Sachen Verschuldungsprobleme und einer Stabilisierung der Konjunktur-Vorlaufindikatoren sollte der Weg der Börsen langsam aber stetig wieder nach oben führen.“
Auf Sicht von drei Monaten empfiehlt Rechberger einen Kauf von Unternehmensanleihen für die Bereiche Investmentgrade und High-Yield. Für die nächsten zwölf Monate sieht er ebenfalls beide Segmente in Bezug auf deren Spreadentwicklung positiv und gibt deshalb eine allgemeine Kaufempfehlung für Unternehmensanleihen. „Wir rechnen allerdings im Verlauf des ersten Halbjahres 2012 aufgrund der ungelösten Euro-Staatschuldenkrise wieder mit erhöhten Spreadrisiken. Der High-Yield-Index sollte unserer Meinung nach bis Jahresende den Investmentgrade-Index auf Total Return Basis überflügeln“, erklärt Rechberger.
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Asset Allocation: Konjunktur- und Unternehmensnachrichten werden wieder wichtiger
Obwohl die Problematik der Staatsschulden in den westlichen Industrienationen ein Risiko für Aktienkurse darstellt, führen die Analysten von Raiffeisen Research in ihrem Portfolio eine Umgewichtung der Aktien von minus 5 Prozent auf neutral durch. „Vor allem die günstigen Bewertungen und die positiven Ertragsaussichten der Konzerne räumen potenzielles Kurswachstum ein. Zudem dürften die gesunkenen Rohstoffkosten den Margendruck reduziert haben, wodurch die Berichtssaison für das zweite Quartal positiv ausfallen wird. Diese Faktoren sprechen auch in unsicheren Zeiten für ein Investment in Aktien“, erklärt Brezinschek. „Wenn die Griechenlandthematik etwas in den Hintergrund rückt, haben die an sich günstigen Konjunktur- und Unternehmensnachrichten wieder mehr Einfluss auf die Finanzmärkte, wovon Aktien und Unternehmensanleihen profitieren sollten.“