, boerse-express

Morrien: Der große Rückblick 2010: Teil 2

Was erwartet uns 2011? In den nächsten Tagen möchte ich Ihnen einige Trends für das neue Jahr vorstellen. Das sind keine einzelnen Anlage-Tipps, sondern gedankliche Anstöße, welche großen Trends die Börsen beeinflussen können.

Bevor ich auf die Trends 2011 eingehe, möchte ich aber zunächst die Thesen 2010 unter die Lupe nehmen (den Teil 1 habe ich Ihnen gestern geschickt). Vor einem Jahr habe ich Ihnen hier im Schlussgong 7 Thesen vorgestellt (Sie finden die entsprechenden Ausgaben im Schlussgong-Archiv auf der Internetseite www.depot-optimierung.gevestor.de). Diese Thesen möchte ich kritisch unter die Lupe nehmen. Welche Ideen waren richtig, welche falsch und was lässt sich daraus folgern?

Die meisten Überlegungen waren rückblickend korrekt. Abweichungen gab es speziell dann, wenn der Staat oder staatsnahe Organe in den Markt eingegriffen haben. Hier der Kurz-Check der Thesen 2010.

4) Neue Börsengänge im neuen Jahr
Meine These, dass wir 2010 einen IPO-Boom erleben werden, ist eingetroffen. Aber ausgerechnet Deutschland hat davon fast nichts mitbekommen. Der deutsche Kurszettel wurde nur um wenige bekannte Namen ergänzt. Den Sprung auf das Börsenparkett schafften zum Beispiel: Ströer, Joyou, Brenntag, Tom Tailor und Kabel Deutschland. Der Grund für die Zurückhaltung: Die Qualität vieler IPO-Kandidaten war schlicht und einfach zu schlecht. Viele erstklassige Unternehmen werden erst dann an die Börse gebracht, wenn die Stimmung so gut ist, dass der Börsengang quasi ein Selbstläufer ist. Diese kritische Haltung gegenüber Börsenneulingen ist an sich keine „typisch“ deutsche Eigenschaft. Der Neue Markt hat allerdings das Vertrauen in Börsenneulinge nachhaltig beschädigt. Im Internetboom vor rund 10 Jahren konnte jede Pommesbude mit Internetzugang an die Börse gebracht werden. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus.

Außerhalb von Deutschland war 2010 dagegen ein sehr gutes IPO-Jahr. Es wurden gleich mehrere Weltrekorde gebrochen. China und die USA lieferten sich eine Art Wettrennen um den größten Börsengang. Zunächst legte China vor. Beim Börsengang der Agriculture Bank of China wurden 22,1 Mrd. USD eingesammelt. Das war ein neuer Weltrekord.

Aber die (noch) größte Wirtschaftsmacht der Welt konterte: Der Börsengang von General Motors spülte 23,1 Mrd. USD in die Kassen. Das ist fast schon ein Witz: Ein amerikanischer Autobauer, der Monate vorher vom Staat vor der Insolvenz gerettet werden musste, schafft den größten Börsengang in der modernen Wirtschaftsgeschichte und verdrängt das aufstrebende China auf Platz 2. Ich bin aber überzeugt: Das Wettrennen ist noch nicht entschieden. Auch 2011 wird ein extrem spannendes IPO-Jahr.

5) 2010 wird das Jahr der Zinswende
Die These, dass 2010 das Jahr der Zinswende wird, ist teilweise eingetroffen. Offiziell wurden die Leitzinsen in den USA und in der Euro-Zone 2010 nicht erhöht. Wie aber bereits gestern geschrieben: Seit Mitte 2010 steigen die Zins-Renditen für deutsche oder auch amerikanische Staatsanleihen (bei einem festen Zins-Kupon bedeuten fallende Kurse, dass die Renditen steigen).

So ist die Umlaufrendite der deutschen Staatsanleihen im Jahresverlauf zunächst von 2,8 auf 1,8% gefallen. Meine Einschätzung: Die 1,8% waren ein historischer Wendepunkt. Die Renditen steigen. Aktuell liegt die Umlaufrendite der deutschen Staatsanleihen schon wieder bei 2,65%. Und wenn der Markt die Zins-Renditen nach oben treibt, kann die Europäische Zentralbank nicht ewig zuschauen. Irgendwann wirkt dann der künstlich niedrig gehaltene Leitzins lächerlich und wird zur Farce. Dann wird die Notenbank dem Markt folgen und den Leitzins an die Realität anpassen.

Fazit: Mitte 2010 wurde die Zins-Wende eingeleitet, auch wenn der offizielle Leitzins der Europäischen Zentralbank das noch nicht anzeigt (das gilt auch für die amerikanische Notenbank FED).

6) Nebenwerte hängen die Blue Chips ab
Die These, dass die Nebenwerte im Börsenjahr 2010 die Schwergewichte aus dem DAX, EuroStoxx und Dow Jones abhängen, war ein Volltreffer. Der „Punktsieg“ der Nebenwerte ist beeindruckend. Dabei hat der DAX die Latte mit einem 12-Monats-Plus von 19% schon sehr hoch gehängt. Der MDax übersprang die Latte mit +34% jedoch leicht und locker. Noch besser schnitten die Börsenwinzlinge aus dem SDax ab. Das imposante 12-Monats-Plus: 43%.

Meine Erwartung: Die Nebenwerte werden auch im Börsenjahr 2011 an der Spitze liegen, doch der Abstand zu den Blue Chips aus den großen Indizes wird kleiner.

7) Schwellenländer auch 2010 auf der Überholspur
Während der Triumph der Nebenwerte über die Standardwerte (Blue Chips) ein Kantersieg war, war das Rennen zwischen den Schwellenländer-Aktien und den Aktien aus den etablierten Industrienationen über lange Zeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Je nach Betrachtungsweise könnte man sogar meinen, die etablierten Industrieländer hätten am Ende das Rennen knapp gewonnen. So hat der DAX auf Sicht von 12 Monaten um 19% zugelegt, während der Index MSCI Emerging Markets „nur“ um 17% zugelegt hat. Diese Betrachtungsweise ist jedoch aus 2 Gründen nicht ganz korrekt: Zum einen ist der DAX ein Performanceindex (die Dividenden werden automatisch mit einkalkuliert), während der MSCI Emerging Markets ein Kursindex ist (Dividenden werden nicht berücksichtigt). Wenn man daher die Dividenden abzieht, hat der DAX um 16% zugelegt und der MSCI Emerging Markets um 17%. Also doch ein hauchdünner Sieg für die Schwellenländer.

Zum anderen ist es auch nicht ganz fair, den MSCI Emerging Markets, der weltweit Aktien aus Schwellenländern vereint, mit einem einzelnen sehr gut gelaufenen Länder-Index wie den DAX zu vergleichen. Passender ist der Vergleich MSCI Emerging Markets gegen MSCI World. Die Schwellenländer-Aktien weltweit gegen die größten Aktien weltweit. Und hier fällt der Sieg wieder eindeutig aus: Der MSCI Emerging Markets hat um 17% zugelegt, der MSCI World „nur“ um 10%. Klarer Punktsieg für die Schwellenländer.

Demnächst im Schlussgong: Die Thesen für das Börsenjahr 2011.